Mikroorganismen für den Klimaschutz

science-in-hd-NP6JLl_2C-c-unsplash_72dpi

Nicht nur über die notwendige Vermeidung von Kohlendioxid wird derzeitig viel diskutiert, auch der Umgang mit dem bereits in der Atmosphäre befindlichen Treibhausgas entpuppt sich zunehmend als Thema in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Ein Teil der Lösung könnte aus dem Feld der Biotechnologie kommen. Wissenschaftler*innen forschen hier in verschiedenen Projekten zu der Nutzung von Bakterien für die Verwertung von Kohlendioxid.

Der Biologe Prof. Volker Müller von der Goethe-Universität Frankfurt am Main stieß durch sein Interesse an Mikroorganismen und ihre Ernährung „auf Bakterien und sogenannte Archaeen, auch als Urbakterien bekannt, die aus Wasserstoff, Kohlendioxid und Kohlenmonoxid Ethanol machen“, berichtet die WiWo. Jetzt arbeitet er als Teil des europäischen Forschungsprojektes „CO2Chem“ an einem Bioreaktor, in dem die Bakterien das Kohlendioxid effizient in unschädliche Stoffe umwandeln können. Dennoch bedarf es noch zusätzlicher Forschung. „So müsse noch das Erbgut der Bakterien so verändert werden, dass sie nicht nur das kurzkettige Ethanol herstellen können, sondern auch längerkettige Kohlenstoffverbindungen wie etwa Kerosin hinbekommen.“

Dass das Bakterium Acetobacterium woodii in Stickstoff gehalten werden muss und keinem Sauerstoff ausgesetzt werden darf, erschwert die Forschung. Doch die Fähigkeit der Enzyme des Bakteriums, aus Kohlendioxid Essigsäure zu produzieren, stellt für die Forscher*innen eine Herausforderung dar. Im Online-Magazin Bioökonomie wird erklärt, dass die Wissenschaftler*innen zunächst eine Genmanipulation am Bakterium vornehmen und außerdem künstliche Substrate herstellen müssen, damit die Essigsäure letztendlich in 3-Hydroxypropansäure umgewandelt wird.

Der innovative Ansatz wird als großer Fortschritt in der Biotechnologie gewertet. Prof. Müller stellt neben der Möglichkeit, den Klimawandel zu bekämpfen, einen weiteren wichtigen Vorteil hervor. „‘Andere Bakterien nutzen oft Zucker als Substrat‘ - biotechnologische Prozesse stünden damit in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln.“ Diese Konkurrenz ist bei den A. woodii-Bakterien und ihrer Verwertung von Kohlendioxid nicht gegeben.

Die Forschung von Arren Bar-Even des Max-Planck-Instituts für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam zeigt weitere Anwendungsmöglichkeiten der Biotechnologie auf. Hellmuth Nordwig beschreibt im Deutschlandfunk, dass auch der Stoffwechsel von Escherichia coli-Bakterien gentechnische manipuliert werden soll, sodass sie Ameisensäure verwerten können. Diese kann wiederum aus Kohlendioxid gewonnen werden. Da die Produktion nicht wirtschaftlich sei, plädiert Bar-Even dafür, dass die Politik stärkere Anreize für klimafreundliche Technologien schaffen müsse.

Großes Interesse der Industrie

Nicht nur in der Wissenschaft soll die Arbeit mit verschiedenen Bakterienstämmen ausgeweitet werden. Auch Konzerne beteiligen sich an der Erprobung von biotechnologischen Verfahren, die mit den richtigen Rahmenbedingungen in der Zukunft nutzbar gemacht werden können. Das Online-Magazin Bioökonomie berichtet von der Versuchsanlage Rheticus in Marl, Nordrhein-Westfalen. Hier stellen der Spezialchemiekonzern Evonik und der Anlagenbauer Siemens mithilfe von Bakterien und künstlicher Photosynthese Spezialchemikalien her. Der Testbetrieb startete bereits 2019 mit einem Bioreaktor, in dem Bakterien aus einem Synthesegas enzymatisch die Chemikalien Butanol und Hexanol erzeugten.

Der weltweit erste CO2-Elektrolyseur soll ab dem kommenden Jahr das zugeführte Synthesegas aus Kohlendioxid und Wasser sowie mithilfe von erneuerbarem Strom erzeugen. Das Projekt, das vom Bundesforschungsministerium bis 2021 mit etwa 3,5 Millionen Euro gefördert wird, kann auf der einen Seite damit CO2 als Rohstoff verwenden. Andererseits, erklärt Karl-Josef Kuhn, Leiter der Power2X-Forschung von Siemens, wird „erneuerbare Energie speicherbar, indem wir sie in Wertstoffe wie Spezialchemikalien oder Treibstoffe umwandeln.“

Der Deutschlandfunk stellt mit der US-Amerikanischen Firma Lanzatech ein Anwendungsbeispiel vor, dass Kohlendioxid bereits in Treibstoff verwandelt. Mit Clostridium autoethanogenum-Bakterien konnten sie aus den Abgasen eines Stahlkraftwerks bereits 30 Millionen Liter Ethanol innerhalb eines Jahres herstellen. „Ethanol geht direkt in den Pool der Kraftstoffe für Autos. Wir sind dabei, weitere Anlagen zu bauen: ein weiteres Stahlwerkprojekt in Gent in Belgien, und Projekte in Indien und Südafrika, die Metallverarbeitungs-Abgase und Raffinerieabgase, die anderenfalls nicht verwendet werden können, benutzen“, beschreibt Geschäftsführer Michael Köpke seine Zukunftsvision.

Die Rolle von Mikroorganismen nicht unterschätzten

Im Juni 2019 veröffentlichten 30 führende Mikrobiolog*innen im Fachblatt "Nature Reviews Microbiology" einen Artikel über die Auswirkungen des Klimawandels auf Mikrobakterien, die im Erdboden leben, um auf die positiven aber auch negativen Folgen aufmerksam zu machen. Jene Mikroben zersetzten abgestorbene Organismen und setzen währenddessen CO2 frei. Der Spiegel führte ein Interview mit Antje Boetius, Mitverfasserin und Chefin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Sie erläuterte: „Wenn die Umwelt von Mikroben wärmer wird, produzieren sie mehr CO2. Viele mikrobielle Rückkopplungen sind bisher in den Klima- und Erdsystemmodellen nicht ausreichend berücksichtigt wie die möglichen Änderungen der mikrobiellen Aktivität in Permafrostböden, Wäldern, Meeren.“

Dennoch spricht Boetius auch von möglichen Chancen, die der Einsatz von Mikroben haben kann. Beispielsweise können sie Teil der Wasserstoff-Produktion sein und für die erneuerbare Energieversorgung eine wichtige Rolle spielen. Außerdem können sie verschmutzte Böden und Gewässer von Öl reinigen und haben Abwehrsysteme gegen Krankheiten und Viren.

Neben den Vorteilen, die Biotechnologie zukünftig auf die Verwertung von Kohlendioxid haben kann, muss das Hauptziel dennoch bleiben, dass die Produktion des Treibhausgases durch Erneuerbare Energien erheblich reduziert wird. So können die Bakterien beispielsweise auch bei geringen Mengen von ausgestoßenem CO2 bei Biogasanlagen eingesetzt werden.

FOTO: https://unsplash.com/photos/tGYrlchfObE