"Das Wichtigste ist, dass man der Industrie, vor allem dem Mittelstand, klar kommuniziert, wohin die Reise geht und sie nicht im Ungewissen lässt"

Im Interview sprechen wir mit Dr.-Ing. Anne Gruber, Geschäftsführerin der Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft mbH, über die Bereitschaft der breiten Industrie, ihre Emissionen zu senken und die Effizienzen zu steigern. Es brauche jedoch eine Politik, die nicht nur mit den großen Playern der Wirtschaft spricht.

Foto: Enno KapitzaSie sind nach vielen Jahren im industriellen Energiemanagement an der Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft (FfE) nun neben zwei Kollegen Geschäftsführerin. Herzlichen Glückwunsch! Wie sind Sie zur FfE gekommen?

An der FfE ist es oft so, dass wir besonders gute Studenten gern übernehmen. Ich hatte damals 2008 jedoch keine Verbindungen und eine Initiativbewerbung geschrieben. Als ich zu einem Gespräch eingeladen wurde, wurde ich gefragt, ob ich Lust habe, den damals gering besetzten Bereich des industriellen Energiemanagements wieder neu aufleben zu lassen. Darauf hatte ich sehr große Lust, da ich mich bereits in der Diplomarbeit mit der Energieeffizienzsteigerung in einem Industrieunternehmen befasst hatte. Seitdem haben wir diesen Bereich gemeinsam aufleben lassen und deutlich erweitert, wir haben diverse Energieeffizienz-Netzwerke gegründet, eine Vielzahl an Energieaudits bzw. energetische Ist-Zustandsanalysen durchgeführt und uns sehr intensiv mit Technikern vor Ort zu Effizienzmaßnahmen ausgetauscht.

Wo liegen die Aufgaben der FfE für die Unternehmen?

An der Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V. führen wir vermehrt wissenschaftliche Studien durch, in der GmbH sind es oft praxisnahe Beratungsdienstleistungen. Wir untersuchen einerseits in den Industriebetrieben vor Ort, wie Anlagen effizienter betrieben werden und welche Technologien zum Einsatz kommen können, um klimaneutral zu werden. Andererseits zeigen wir in wissenschaftlichen Analysen mit umfassenden Modellierungen, wie die zukünftige Energieversorgung aussehen kann. Besonders gefällt mir an der FfE die starke Verzahnung von Wissenschaft und Praxis. Hier sind die Energiebeauftragten, die vor Ort die Energiewende voranbringen, die wissen, was in der Praxis möglich ist und welche Hemmnisse bestehen, und dort die Wissenschaftler, die in theoretischen Analysen Möglichkeiten zur zukünftigen Versorgung aufzeigen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden von uns weitergegeben und daraufhin geprüft, ob die einzelnen Lösungen in der Praxis tatsächlich umsetzbar sind und wo Hemmnisse bestehen. Beispielsweise dachten einige Unternehmen vor ein paar Jahren, sie würden zukünftig Wasserstoff einsetzen. Dort konnten wir anhand unserer wissenschaftlichen Analysen zeigen, dass Wasserstoff nur für Spezialanwendungen in einzelnen Prozessen gebraucht werden wird und eben nicht großflächig im klassischen Industriebetrieb als beispielsweise Brennstoffersatz zur Raumwärmeerzeugung. Wir verstehen uns als Schnittstelle, denn Theorie und Praxis sprechen wirklich zwei ganz unterschiedliche Sprachen.

2015 hielten Sie einen Vortrag zum Thema „Industrielles Power-to-Heat-Potenzial“, in dem Sie von einem bedeutenden Elektrifizierungspotenzial aus technischer Sicht sprachen, wenngleich Sie das Flexibilisierungspotenzial damals zumindest nicht so hoch einschätzten. In einem Ausblick erwarteten Sie jedoch für den Power-to-Heat-Bereich neue strombasierte Verfahren als Alternative zu brennstoffbasierten Verfahren und weitere flexibilisierbare Verfahren wie etwa Power-to-Chemistry. Was hat sich hier in den vergangenen sechs Jahren getan?

Die Technologien sind vorhanden, jedoch werden diese bei weitem nicht so genutzt, dass das Potential von Power-2-Heat ausgeschöpft wäre. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt bisher kaum Betriebe, deren Wärmeversorgung elektrifiziert ist, was vor allem an den unterschiedlich hohen Preisen für Strom und Brennstoffe liegt. Was sich allerdings in den vergangenen sechs Jahren verändert hat, ist die Bewusstseinsbildung hinsichtlich neuer Technologie – auch im Hinblick auf Dekarbonisierung. Als ich vor sechs Jahren zu einem Unternehmen kam und angeregt habe, die Wärmeversorgung zukünftig zu elektrifizieren, bekam ich folgende Antwort: „Bitte, was? Das ist viel zu teuer.“ Die Preise sind immer noch deutlich zu hoch für einen Wechsel des Energieträgers, aber die Unternehmen kennen nun die Technologien und wissen, dass dies eine der Technologien ist, die sich durchsetzen wird. In den meisten Köpfen ist klar, dass über kurz oder lang ein Umstieg ansteht.

Wie kann die zukünftige Regierung die Industrie in der Dekarbonisierung am besten unterstützen?

Das Wichtigste ist, dass man der Industrie, vor allem dem Mittelstand, klar kommuniziert, wohin die Reise geht und sie nicht im Ungewissen lässt. Wenn es beispielsweise um die Elektrifizierung geht, ist klar, solange wir diskutieren, wie hoch wird der CO2-Preis sein wird, wie stark die EEG-Umlage sinken soll und wohin sich die Preise entwickeln – so lange das alles relativ vage gelassen wird – ist es für Unternehmen schwer, sich auf irgendeine neue Technologie einzulassen. Natürlich gibt es auch Unternehmen, die nicht auf die Entscheidungen der Politik warten, „weil klar ist, dass der Klimaschutz gemacht werden müsse und wir schneller sind, wenn wir einfach anfangen“. Aber grundsätzlich braucht es das Commitment der Regierung: Wir wollen jetzt wirklich ambitioniert ran.

Wo ist es am dringendsten?

Die Industrie hat beispielsweise schon viel im Strombereich mit Blick auf die Effizienz geleistet, der Wärmebereich ist aber bisher stark vernachlässigt worden. Ich habe allerdings das Gefühl, dass sich in diesem Bereich aktuell einiges tut, auch aufgrund der Fördermittel. Immer öfter sprechen die Unternehmen uns an und bitten um Unterstützung. So wird Abwärmenutzung in der Industrie derzeit vermehrt ins Auge gefasst und es entstehen Abwärmekonzepte. Aber auch hier muss die Politik viel mehr mit der Industrie in den Dialog gehen wie eben auch in allen anderen Sektoren, wenn man ehrlich ist.

Was macht die Politik hier falsch?

Natürlich spricht die Politik mit der Industrie, gerade wenn es um die emissionsstarken Branchen wie Stahl oder Zement geht, aber sie müssten eben auch mit der breiten Masse intensiv sprechen. Wir müssen wirklich in die Umsetzung gehen. In der Theorie sieht die Emissionsminderung zur Begrenzung des Klimawandels machbar aus, aber mit Blick auf die Praxis weiß ich nicht, wie wir das schaffen sollen. Es braucht die Planungssicherheit. Wenn ich als Betrieb zukünftig weitgehend elektrifiziere, tätige ich enorme Investitionen. Dann brauche ich aber auch die Sicherheit, dass zum einen das Netz bis zu meinem Standort so weit ausgebaut ist, damit der erhöhte Strombedarf auch gedeckt werden kann, zum anderen die Strompreise auf einem Niveau liegen, dass ich wettbewerbsfähig bleibe.

Was sind die größten Herausforderungen der Erneuerbaren Energien in den kommenden zehn Jahren?

Meine persönliche Einschätzung: Die Akzeptanz in der Bevölkerung, vor allem bei der Windkraft. An dem Thema Akzeptanz scheiden sich wirklich die Geister. Wir haben vor Kurzem gemeinsam mit dem VBEW eine Kurzstudie gemacht. In dieser ging es darum, was es bedeuten würde, wenn Bayern die selbst gesteckten Klimaziele tatsächlich erreichen will. Das haben wir in die Fragestellung übersetzt: Was müsste ab heute jede Woche bis zum Jahr 2040 umgesetzt werden? Das war für viele ein ziemliches AHA-Erlebnis.

Das klingt gut und schrecklich.

Ja. Was mich beispielsweise schockiert hat, war, dass wir jede Woche ein neues Umspannwerk bauen und zwei neue Windenergieanlagen in Betrieb nehmen müssten mit jeweils 5MW. Wie soll das in Bayern aktuell funktionieren? Wir müssten jede Woche 160 Fußballfelder PV-Freiflächenanlagen bauen. So wie die Leute aktuell eingestellt sind, kann das nicht funktionieren. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Politik sich unabhängig von der Parteizugehörigkeit auf ein gemeinsames Klimaziel verständigt, und zwar möglichst zeitnah, damit wir hier vorankommen und Anlagenausbau und vor allem auch Netzausbau in die Umsetzung bekommen. Es dauert aktuell viel zu lange, bis Anlagen in Betrieb gehen. Beispielsweise werden derzeit 5 bis 8 Jahre benötigt, bis eine Windenergieanlage genehmigt und gebaut ist. Die Akzeptanz der Bevölkerung dürfen wir dabei nicht vergessen. Eigentlich müssen wir das alles mehr oder weniger zeitgleich angehen.

Darf ich Ihnen zum Schluss noch eine persönliche Frage stellen? Wer inspiriert Sie?

In jedem Fall inspiriert mich mein Geschäftsführer-Kollege Serafin von Roon, weil er die Dinge immer sehr gut mit Ruhe und Sachlichkeit löst. Für alle Probleme gibt es eine Lösung, wenn man eben alle Aspekte betrachtet und sachlich auswertet. Hinzu kommt unser Noch-Geschäftsführer Professor Mauch. Er geht so unglaublich positiv motiviert an die Sachen heran. „Da haben wir Lust drauf, das machen wir jetzt“, hört man immer von ihm. Ich hätte sicherlich auch einige weibliche Vorbilder, aber um ehrlich zu sein, trifft man in der Industrie nicht wirklich viele Frauen. Aber bei uns an der FfE gibt es im Industriebereich aktuell schon mehr Frauen als Männer, was mich sehr freut.

Pressekontakt

Anika Schwalbe
Agentur für Erneuerbare Energien e.V.
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