"Ein gemeinsames Bepreisungssystem für Kohlenstoffvermeidung muss das Leitmedium des europäischen Energiemarkts sein"

XL-0046_42202_Barbara_Lempp_(002)_72dpiFrau Lempp, Sie sind Geschäftsführerin von EFET Deutschland, dem Verband Deutscher Energiehändler e.V.. Welche Aufgaben übernimmt der Verband?

EFET Deutschland – Verband Deutscher Energiehändler e.V. – wurde als eine Schwesterorganisation des Europäischen Händlerverbandes EFET (European Federation of Energy Traders) 2001 gegründet, um die Interessen der auf dem deutschen Markt tätigen Energiehandelsunternehmen gegenüber Politik, Verbänden und Öffentlichkeit zu vertreten. Beide Organisationen sind unabhängig voneinander, befruchten und beeinflussen sich jedoch gegenseitig. Die Förderung des nationalen und internationalen Energiehandels in offenen, transparenten und liquiden Großhandelsmärkten, unbeeinträchtigt von Staatsgrenzen oder anderen Barrieren sind erklärtes Hauptziel und Zweck des Verbandes.

EFET Deutschland zeichnet sich durch folgende Charakteristika aus:
Entwicklung eines paneuropäischen Binnenmarktes für Energie und verwandte Produkte; dadurch Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft; Erleichterung des Handels durch europaweite Harmonisierung der Marktregeln; Objektivität, Transparenz und Nicht-Diskriminierung; Beseitigung von Marktzutrittsbarrieren; Ungehinderter diskriminierungsfreier Zugang zu den Versorgungsnetzen;  Gewährleistung der Versorgungssicherheit; Vermeidung des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen.

Ab Juli 2020 übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft für die kommenden sechs Monate. Welche Rolle spielen die beiden wichtigsten Themen, die Corona-Pandemie und der Klimaschutz, für die Energiebranche?

Die Corona-Pandemie hat in unserem Verband von Stunde 0 an einen sehr umfangreichen Prozess in Gang gesetzt, nämlich die Überprüfung der aktuellen Marktsituation vor dem Hintergrund, dass es aufgrund der Pandemie zu Lieferunterbrechungen in der Energieversorgung oder zwischenzeitlichen Aussetzungen des Marktes kommen könnte. Auch hat gerade der europäische Mutterverband EFET ganz sich genau die regulatorische Situation angeschaut. Welche Notfallmaßnahmen beschließen die europäischen Staaten? Wie stark ist davon der Energiehandel betroffen? Der Prozess wirkt noch fort und wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Der Klimaschutz ist von Beginn an, im Grunde mit Gründung des Europäischen Emissionszertifikatehandels ein Fokus für unseren Verband. Wir haben diesen Zertifikatehandel lautstark mit eingefordert und würden uns freuen, wenn sich langfristig jegliche wirtschaftliche Investition, sei es in der Industrie oder in der Energiebranche selbst, einzig an diesem Element ausrichtet. Dann könnte man auf andere Fördermechanismen wie das kostspielige EEG oder politisch gewollte, aber ökonomisch nicht sinnvolle Aktionen wie den milliardenschweren Kohleausstieg verzichten. Im Laufe der Zeit haben wir als Verband unseren Daseinszweck um die Komponente Klimaschutz explizit erweitert. Wir glauben, dass wir die Dekarbonisierung bis 2050 durch einen effizienten Energiemarkt mitermöglichen können und sehen uns als Werkzeug zur Erreichung des Klimaschutzes.

Mit dem Programm „Next Generation EU“, vorgelegt von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Mai 2020, soll die europäische Wirtschaft in der Corona-Pandemie gestärkt werden. Welche Investitionen wären nach Ihnen wegweisend für einen ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren Energien?

In meinen Augen wäre es wichtig, ein zumindest mittelfristig geltendes grünes Zertifikatesystem neben dem ETS zu etablieren, um den Ausbau der Erneuerbaren und deren Nutzung zur Wasserstoffherstellung zu beschleunigen. Die grüne Eigenschaft muss ein Preisschild bekommen. Wir überlegen dazu derzeit entsprechende Vorschläge und freuen uns, dass die EU-Kommission diesen Gedanken in ihren aktuellen Vorveröffentlichungen der EU-Wasserstoffstrategie mit aufgenommen hat.

Was sind derzeit die größten Herausforderungen des europäischen Energiehandels?

Der sinkende Anteil an Energieträgern, die dem Marktgeschehen zur Verfügung stehen. Der wachsende Ausbau Erneuerbarer Energien, die nur bedingt den Marktrisiken ausgesetzt sind sowie der stetig wachsende Teil der Energieproduktion, auf die die Netzbetreiber in Form von systemdienlichen Speichern oder als Regelenergie Zugriff hatten, ist dem Marktgeschehen entzogen. So trocknet der EU-Energiebinnenmarkt langsam, aber langfristig aus.

Welche Chancen bietet eine EU-weite CO2-Bepreisung und wie müsste sie gestaltet sein?

Wir lehnen als Handelsverband eine EU-weite CO2-Steuer ab und setzen auf marktliche Systeme. Der Europäische Emissionszertifikatehandel hat bislang seine Aufgabe vollumfänglich erfüllt. Das System ist robust, der Sekundärhandel hat viel Liquidität und der Preis entspricht der ausgegebenen Menge und dem erwartbaren CO2-Aufkommen. Dass der Preis im Moment zwar einen Fuel Switch, also einen Wechsel von Kohleverstromung hin zu Gasverstromung (im Jahr 2019 sank der Anteil der Kohle an der Stromproduktion in Deutschland bereits um ¼) ermöglicht, aber teuere, CO2-arme Technologien (wie zum Beispiel Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien) noch nicht beanreizt, ist kein Fehler des Systems. Es muss dringend auf europäischer Ebene die Ausweitung der beteiligten Sektoren am ETS angegangen werden mit allen dazugehörigen Fragestellungen. Wenn es auf nationaler Ebene wie etwa in Deutschland bereits einen nationalen CO2-Preis gibt, ist das Ziel, diese Systeme langfristig in den ETS zu überführen.

Welche Möglichkeiten kann Wasserstoff, mit Hinblick auf die im Juni 2020 veröffentlichte Studie der deutschen Bundesregierung, auf dem europäischen Energiemarkt eröffnen?

Wasserstoff ist sicherlich Teil der Lösung, die Dekarbonisierung bis 2050 zu vollenden. Aber es ist kein Allheilmittel. Es ist ein wichtiges Speichermedium, kann einen sehr großen Beitrag im Bereich Verkehr und Industrieprozesse leisten. Dort ist die Wirtschaftlichkeit am schnellsten gegeben. Kritisch sehen wir die oft einseitige Fokussierung auf nur grünen Wasserstoff. Deutschland als dichtbesiedeltes Hochindustrieland kann es sich schlichtweg nicht leisten, hier nicht die Möglichkeiten der vollständigen Farbpalette der Wasserstoffgewinnung zu betrachten. Wir freuen uns daher, dass die Bundesregierung das genauso sieht und die Wasserstoffstrategie eine Technologieneutralität in der Produktion befürwortet.

Was inspirierte Sie zu Ihrem Berufsweg und wie kam es zu Ihrem Interesse an der Energiebranche?

Ich habe Jura studiert, weil ich damit die meisten Berufsmöglichkeiten hatte. Insbesondere das Thema Politik hat mich besonders gereizt und ich war froh, dass ich über einen Zufall im Europäischen Parlament im Büro eines nordrhein-westfälischen Abgeordneten gelandet bin. Der Streit zwischen der Ukraine und Russland in den 2000er Jahren hat dann auch die EU und damit das Parlament auf den Plan gerufen und wir hatten über Nacht ein Thema im Büro, an dem wir uns abgearbeitet haben. Da das Thema Energie so facettenreich ist, lernt man nie aus und genau das reizt mich so sehr, wahrscheinlich bis zu meiner Rente.

Wo möchten Sie den europäischen Energiemarkt im Jahr 2030 sehen und welche Rahmenbedingungen müssen dafür geschaffen werden?

Mein Wunsch wäre, dass es im Jahr 2030 überhaupt noch einen Markt gibt. Dass wir allmählich die nationalen Fördersysteme ad acta legen können und einsehen, dass ein gemeinsames Bepreisungssystem für Kohlenstoffvermeidung das Leitmedium sein muss, um langfristige Investitionen zu beanreizen und Vertrauen für die Marktteilnehmer schaffen. Auch wünsche ich mir, dass alle Wertschöpfungsstufen sich in der Rolle bewegen, die ihnen in den EU-Binnenmarktpaketen zugewiesen sind und der Handel noch eine echte Daseinsberechtigung neben den Stufen Erzeugung, Netz und Vertrieb hat.

Foto: Barbara Lempp