"Mein Motor ist seither gewesen: Kreisläufe schließen, in Kreisläufen denken und sich darin bewegen"

Herr Karle, herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung mit dem CERES-Award zum Energielandwirt des Jahres.

Thomas Karle (links) bei der Auszeichnung zum Energielandwirt des Jahres. Bild: agrarheuteVielen Dank! Die Preisverleihung war wirklich unglaublich, es hat sehr viel Spaß gemacht. Uns wurde ja buchstäblich der rote Teppich ausgerollt.

Sie sind ein Pionier in der Biogasbranche und betreiben Ihre Anlage seit nunmehr 20 Jahren. Wie kam es zu Ihrem Interesse an der Landwirtschaft und wie sahen Ihre Anfänge aus?

Zum einen bin ich im ländlichen Raum auf einem Hof aufgewachsenen und habe gesehen, was der Mensch im Zusammenspiel mit der Natur erreichen kann, wie alles wächst und gedeiht. Vom Anbau von Getreide, hin zum Füttern von den Schweinen, zum Verkauf des regionalen Produktes und der Veredelung. Ich fand immer sehr faszinierend, dass die Kreisläufe geschlossen werden können, das ist schon immer mein Motor gewesen. Damit verbunden auch die Form der Selbständigkeit, dass man seine eigenen Ideen verwirklichen kann. Das entspricht mir am meisten: Dinge entweder zu optimieren oder komplett zu ändern, neue Wege zu gehen. Da war schnell der Schritt von der Tierhaltung hin zum Biogas gemacht – also nicht nur den Kreislauf mit den Tieren zu schließen, sondern weiter zu machen mit Gülle und Mist und es wieder auf die Felder zu geben.

Die in der Biogasanlage verwendeten Stoffe sind vor allem biogene Reststoffe von benachbarten Landwirten, regionalen Firmen und Genossenschaften. Wie wichtig sind für Sie diese regionalen Netzwerke, wie können sie gefördert werden bzw. welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden?

Man gibt Vertrauen in die Menschen und das Vertrauen wird belohnt. Das ist ein lebenslanger Prozess und ich genieße es auch sehr, dass man hier im Ort und mit meinen Kollegen die Früchte sieht. Wir pflegen durchweg ein gutes Verhältnis, ich habe mit ganz vielen unterschiedlichen Landwirten Maschinengemeinschaften. In unserem Dorf Füßbach sind wir zudem vernetzt im doppelten Sinn: Wir haben ein Wärmenetz, wo wir verbunden sind und haben unser Elektro-Car-Sharing. Diese Prozesse entstehen im Laufe der Zeit. Im Dorf haben wir eine gute Atmosphäre des Mit- und Füreinanders. Das ist in geschäftlichen und privaten Dingen gewachsen. Alles beginnt mit großer Offenheit und einem Vertrauensvorschuss, der in aller Regel belohnt wird.

Reststoffe und Wirtschaftsdünger gelten ja als nachhaltige Biogas-Substrate, die künftig an Bedeutung gewinnen sollen. Wie stellen Sie den Rohstoffnachschub sicher?

Ich nehme niemandem etwas weg, sondern wir verarbeiten. Wir veredeln und entwickeln die Nährstoffe weiter, damit sie noch besser anwendbar sind. Was ich mit mehreren Landwirten beispielsweise schon lange im Ort mache, ist, dass ich ihre Gülle bekomme, wenn diese für sie nicht oder nur erschwert nutzbar ist. Ich mache aus der Gülle zunächst Strom und bringe ihnen die Gärprodukte, sprich die Nährstoffe, mit moderner Technik, meinem Schleppschlauch, auf die Felder. Sie werden also eine bessere Ausbringung haben, da das flüssige Gärprodukt gut in den Boden eindringen kann und viel effektiver düngt. Mein Grundprinzip dabei ist „Win-Win“: Sie müssen mir keine Rechnung stellen, ich stelle ihnen keine Rechnung – wir tun uns gegenseitig etwas Gutes.

Deshalb glaube ich nicht, dass die Rohstoffe weniger werden. Ganz im Gegenteil: Durch neue Tierhaltungsformen werden es mehr. Ein Kollege beliefert mich beispielsweise seit Neuestem mit Hähnchenmist, ein weiterer mit Mist aus seinem neuen Schweinemaststall mit Außenfreilauf bzw. Stroheinstreu. Beide sind sehr froh, dass ich es ihnen abnehme, denn sonst müssten sie den Mist nach den neusten Bestimmungen hochaufwändig entsorgen. Daher ist es so, dass mit neuen Tierhaltungsformen, sprich mit Stroh, der Zwischenschritt Biogas an Bedeutung gewinnt.

Den in der Biogasanlage erzeugte Strom speisen Sie bedarfsorientiert durch ein Fahrplan-Management ein, etwa 5.500 MWh pro Jahr. Wie funktioniert das Management und was ist hier der Vorteil?

Um ganz trivial anzufangen: Strom ist nicht gleich Strom. Der Strom von Wind und Sonne ist vielleicht tendenziell ein bisschen günstiger als Biogas, kann aber nicht so gut gespeichert werden. Während Wind- und Sonnenflauten können wir den Biogas-Strom punktgenau liefern. Ich habe eine Anlage, die durchschnittlich Biogas für 650 Kilowatt Strom produzieren kann, jedoch 1.300 Kilowatt elektrische Leistung hat. Das heißt, ich fahre nach Fahrplan entsprechend der Strombörse in Leipzig und schalte je nach Bedarf sowie Strompreis beliebig viele Motoren ein. Was die Flexibilisierung angeht handeln wir also bedarfsorientiert. Zukünftig wird das ein ganz wichtiger Baustein für die Daseinsbereicherung von Biogas, genau dann zu liefern, wenn Strom gebraucht wird.

Außerdem wird die Abwärme der Anlage zu 100 Prozent genutzt, für eine Getreide- sowie eine Gärprodukttrocknung auf Ihrem Betrieb sowie öffentlich für das Füßbacher Nahwärmenetz. Wann wurde das Nahwärmenetz errichtet?

Das Nahwärmenetz wurde bereits vor 12 Jahren errichtet. 2009 wurde Füßbach mit diesen Ambitionen zum ersten Bioenergiedorf in Nord-Württemberg ernannt, wir waren also damals schon Pioniere. Außerdem war klar, dass das Biomassepotenzial im Dorf die Voraussetzungen für genügend Wärme vorhanden war. Zudem kam der glückliche Umstand, dass unser Dorf sowieso saniert wurde. Die Straßen wurden aufgegraben und das war quasi die Einladung, auch eine neue Wärmeleitung zu bauen. Es ging zwar mit Diskussionen und Überzeugungsarbeit einher, aber es lief dennoch gut und wir sind alle sehr zufrieden.

Das getrocknete Gärprodukt aus der Biogasanlage wird anschließend durch Fermentierung zu ihrem Naturdünger NADU verarbeitet. Wieso war es Ihnen wichtig, die Gärprodukte zu verarbeiten und wieso ist ihr Naturdünger nicht schon bekannter?

Bild: agrarheuteDie Vermarktung bis hin zu den Haus- und Gartenmärkten ist sehr schwer. Die Herstellung ist machbar, aber die Haus- und Gartenmärkte haben ihre festen Vertriebs- und Bezugsstrukturen. Den Ansprüchen gerecht zu werden – nicht mit dem Produkt, sondern der Verpackung, in welcher Größe, solche Fragen – das ist ein riesiger Aufwand, der daran hängt. Das ist eine eigene Welt, eine ganz eigene Produktionskette. Wir hoffen, dass wir dem Vorbild vom Kompost folgen können: Uns als Erzeugergemeinschaft zusammentun, lokal produzieren und überregional gemeinsam vermarkten.

Die Idee, den Dünger herzustellen, kam daher, dass es viele Regionen mit intensiver Tierhaltung gibt wie auch bei uns. Somit sind die Ausbringflächen für den anfallenden Wirtschaftsdünger knapp, die Pachtpreise überteuert. Aus diesem Kreislauf wollte ich raus und meine Nährstoffe sinnvoller nutzen.

Wir haben die Reststoffe zunächst getrocknet, aber das Produkt hat gestaubt und war nicht anwendbar. Der nächste Schritt war das Pelletieren, dann das Zertifizieren, dann die Verpackung finden. Das hört sich einfach an, aber dahinter befinden sich lange, teure Schritte. So haben wir es Stück um Stück zu einem guten Niveau entwickelt, sind jedoch noch weitaus noch nicht da, wo ich sein will. Ich will gern bei den bekannten Garten- und Baumärken ganz vorn im Regal stehen, mit meinem regionalen, nachhaltigen Biodünger.

Düngemittel stehen ja auch im Brennpunkt, wenn es um die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft geht. Inwiefern tragen Sie mit der Gärprodukteverarbeitung und NADU zum Klimaschutz bei?

Es trägt dazu bei, dass weniger Phosphor in Marokko abgebaut wird, weil wir unseren Dünger sinnvoll recyclen, und weil er punktgenau ausgebracht wird. Es trägt dazu bei, dass wir zukünftig organische Dünger ersetzen werden, die Torf-basiert sind. Der unsägliche Torfabbau wird ohnehin bald verboten. Diese zwei Punkte sind allein schon extrem ressourcenschonend. Außerdem gewinnen wir Stickstoff gezielt als Einzelnährstoff zurück und sparen so sehr viel Energie, denn der Energiebedarf für die Stickstoffherstellung ist immens. Wir haben also mit Phosphor, Torf und Stickstoff drei Produkte, die mit Blick auf den Energie- und Rohstoffverbrauch einen großen Meilenstein für die Ressourcenschonung und die Nachhaltigkeit darstellen.

Im Projekt „Agriplus Hohenlohe“ wird die gezielte Nährstoffrückgewinnung aus dem Biogas-Gärrest weiterhin unabhängig von Ihrem Dünger untersucht. Wissenschaftlich begleitet wird dieses Projekt durch Pflanzenbauversuche und eine betriebswirtschaftliche Analyse. Zum Ende des Jahres läuft das Projekt aus, welches Fazit können Sie ziehen? Welche neuen Projekte sind in Planung bzw. streben Sie an?

Das Fazit ist sehr positiv. Agriplus war darauf ausgelegt, dass sich die regionalen Partner treffen und wir haben mit den Landwirten und der regionalen Genossenschaft, die als Handelsplattform dient, diese Strukturen aufgebaut. Wissenschaftlich erforscht wurde die Düngewirksamkeit der Einzelnährstoffe direkt auf den Feldern der Landwirte. Heraus kam, dass wir ohne Probleme mit anderen konventionellen Düngemitteln mithalten können. Den dritten Punkt hatten wir ursprünglich gar nicht auf dem Schirm: Durch die Herauslösung der Einzelnährstoffe Phosphor und Stickstoffdünger stellte sich heraus, dass die Faserstoffe eine große Ähnlichkeit mit Torf haben. Nun können wir gezielt Produkte als Torf-Ersatz herstellen. Darum wird es wahrscheinlich bei dem nächsten Projekt gehen. Auch die Optimierung der Produkte wird weitergehen. Den Phosphor müssen wir zum Beispiel granulieren oder pelletieren, damit er besser verkäuflich ist.

Mit diesen Einzelnährstoffen kann ich auch meinen NADU-Dünger optimieren und mit eigenen Mitteln die Gärproduktpellets nacharbeiten, zumischen, abreichern. Also könnten wir auch NADU 2.0 entwickeln, und die Produktpalette erweitern. Dann würden wir nicht nur den NADU-Naturdünger haben, sondern auch NADU-Rosendünger oder Gemüsedünger.

Auch im Verkehrssektor Füßbachs mischen Sie inzwischen mit: Sie haben das E-Car-Sharing-Modell e-Füßle gegründet. Das Dorf teilt sich zwei Elektroautos, die je nach Bedarf gemietet werden können. Wie kam es zu dieser Idee?

Bild: agrarheuteDie Grundidee ist entstanden, als wir Füßbacher gemütlich beisammensaßen. Wir waren als kleines Bioenergie-Dorf bereits positiv in den Schlagzeilen. Sie haben mich also gefragt, was der nächste Schritt ist. Meine Idee war nach der erneuerbaren Strom- und Wärmeversorgung, die nachhaltige Mobilität in Füßbach zu entwickeln. Vor sechs Jahren begann diese Diskussion im Dorf und damals wurde die Elektromobilität noch ganz anders angesehen. „Es wären keine richtigen Autos“, wurde damals noch gesagt. Wir haben also ein Event organisiert, und das Autohaus stellte uns zwei Probeautos zur Verfügung. Ich werde es nie vergessen, das war der Durchbruch. Die Füßbacher sind skeptisch eingestiegen und begeistert wieder ausgestiegen.

Ein entscheidender Faktor war auch meine Tochter, die zum Zeitpunkt der Konzeption ihre Bachelorarbeit im Bereich Medienmanagement geschrieben hat. Sie hat sich ebenfalls von unserer Idee des Elektro-Car-Sharings anstecken lassen und das Projekt mit ihrer Arbeit begleitet. Sie hat uns sensationell unterstützt bei der Erstellung von Flyer, FAQs, der Webpage und dem Buchungssystem.

Was in Füßbach klappt, könnte ja auch in weiteren Orten realisiert werden. Was braucht es dazu?

Erster Anstoß: Man braucht Mut zum Neuen. Zweiter Anstoß: Man braucht Vertrauen in den Nächsten. Der dritte Punkt ist, dass es zwei bis drei Zugpferde braucht. Der Vorteil gegenüber städtischen Strukturen ist, dass man sich kennt. Weil es eben unser Projekt ist, hängt Herzblut daran. Weil von vornherein die Basis stimmt, laufen beispielsweise die Pflege, Rücksichtnahme und der Umgang mit den Autos extrem gut. Im Prinzip ist es in jedem Dorf und in jeder Stadt machbar: Man muss zwei bis drei Straßen zusammennehmen, nicht so groß strukturiert, sondern klein und überschaubar bleiben. Kleine Einheiten und kurze Wege – dann kommt es viel besser ins Laufen.

Die Landwirtschaft muss heute viele Aufgaben bzgl. Ökologie und Nachhaltigkeit erfüllen: angefangen beim Klimaschutz, aber auch z.B. im Gewässer- und Artenschutz. Ist Biogas als Technologie ein Schlüssel dafür?

Biogas kann absolut dazu beitragen. Angefangen bei der Frage, wie wir mit Gülle und Mist Emissionen vermeiden. Durch die Dezentralität bietet Biogas in der Strom- und Wärmeproduktion extrem große Vorteile. Die dezentrale Energiegewinnung mit der Kraft-Wärme-Kopplung hat den Charme, dass die Wärme direkt nutzbar ist.

Von daher halte ich Biogas, was die Nachhaltigkeit angeht, für extrem positiv und vor allem auch für super flexibel. Man spricht ja oft vom dem Multitalent Biogas – von der Nährstoffrückgewinnung die ich betreibe, bis hin zur Biomethan-Gaseinspeisung. Es gibt ganz viele Anwendungsbeispiele, wo der Kreativität und den Innovationen keine Grenzen gesetzt sind. Der Brückenschlag hin zur Landwirtschaft zeigt, welche positiven Effekte die Zusammenarbeit mit den Landwirten hinsichtlich der Rest- und Nährstoffe  haben kann. Biogas ist ein großer und hervorragender Motor der Klimawende.