Energie-Kommune des Monats: Oberhof

März 2024

Die Landstadt Oberhof liegt auf 800 Meter über Normalhöhennull mitten im Naturpark Thüringer Wald. Die etwa 1.500 Einwohner*innen zählende Gemeinde im Landkreis Schmalkalden-Meiningen ist bekannt für ihre Wintersportanlagen, als Austragungsort gleich mehrerer Spitzensportevents und als Olympiastützpunkt des Landes Thüringen. Oberhof ist der drittmeistbesuchte Ort des Freistaates, was eine Statistik eindrucksvoll unterstreicht: Auf jede*n Einwohner*in kommen knapp 100 Gäste pro Jahr. Um mit dem Tourismus-Standort am Rennsteig auch die Lebensgrundlagen der Oberhofer*innen zukunftssicher zu gestalten, werden die Sportstätten als das Herz der Region auf eine erneuerbare Energieversorgung umgerüstet. Der zuständige Zweckverband Thüringer Wintersportzentrum (ZV TWZ) möchte durch die energetische Sanierung zudem seiner Verantwortung als Eigentümer und Betreiber der Anlagen gerecht werden und als Vorreiter in diesem Bereich zeigen, was technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist.

Foto: Christian Heilwagen für den Zweckverband Thüringer Wintersportzentrum OberhofFoto: Christian Heilwagen für den Zweckverband Thüringer Wintersportzentrum Oberhof

Die Oberhofer Sportstätten umfassen ein Biathlon- und Skilanglauf-Stadion für, eine Rennschlitten- und Bobbahn, eine moderne Skisporthalle, die Skisprung-Schanzenanlagen im Kanzlersgrund und am Wadeberg sowie die Sporthalle und den Sportplatz am Harzwald. Diese Konzentration auf engstem Raum ist weltweit einzigartig. In Oberhof gibt es außerdem Anlagen für Alpinski und Langlaufpisten im Winter sowie Radfernwege, Downhill-Strecken, Wanderwege und eine Sommerrodelbahn im Sommer. Mit der modernen Sport- und Tourismusinfrastruktur entwickelte sich die Region zu einem strukturstarken Raum. Nun folgt die Energieinfrastruktur, die durch das von 2021 bis 2028 laufende Modellprojekt „Klimaneutrale Energieversorgung der Wintersportstätten Oberhof“ auf den modernsten Stand gebracht wird. Der umweltfreundliche Betrieb der Anlagen soll eine langfristige Kosteneffizienz und gleichzeitig die Standortattraktivität garantieren.

Das Projekt wird vom Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz mit knapp 5,3 Millionen Euro sowie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) mit rund 11 Millionen Euro gefördert. Dr. Hartmut Schubert, Staatssekretär Finanzen des Freistaates Thüringen und Verbandsvorsitzender des TWZ sowie von 2018 bis 2023 WM- und Oberhofbeauftragter der Landesregierung, weiß diesen Kostenvorteil sehr zu schätzen: „Die Energiekosten sind in den letzten Jahren gewaltig gestiegen. Durch die Nutzung von erneuerbaren Energien, besonders erneuerbaren Strom, können wir die Betriebskosten deutlich und langfristig senken.“ Auch auf seine Initiative wurde das Projekt vorangetrieben.

Bei der Transformation des Wärme- und des Stromsektors setzt der ZV TWZ auf der Gemarkung des staatlich anerkannten Erholungsortes Oberhof zunächst auf den Aufbau von Versorgungsnetzen und die Erzeugung eigenen Solarstroms. Das aktuelle, 2022 fortgeschriebene Energiekonzept beruht auf einer 2018 erstellten Studie zur Kombination eines Kalt- und eines Warmnetzes auf dem Gebiet der Sportstätten. 2019 wurde die Umsetzbarkeit der Eigenstromerzeugung durch Photovoltaik (PV) untersucht und das Konzept schließlich um diesen Baustein erweitert. Die Nutzung von Biomasse und Abwärme der Kälteanlagen sowie der Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) in Form von Blockheizkraftwerken (BHKW) sind als wichtige Bestandteile einer belastbaren Energieinfrastruktur ebenso Teil des nun entstehenden Verbundnetzes. Das Projekt, durch das nicht nur die Wintersportstätten Oberhof, sondern auch Teile der Stadt mit klimaneutraler Energie versorgt werden, ist in vier Module aufgeteilt: Kaltnetz, Warmnetz, Stromnetz und PV.

Energetische Transformation in vier Akten

Kaltnetzaufbau (Foto: Zweckverband Thüringer Wintersportzentrum Oberhof)Um die Rennrodelbahn während der Saison von November bis März und die Skihalle sogar ganzjährig optimal präparieren und für sportliche Zwecke nutzen zu können, müssen diese mit entsprechend großem energetischen Aufwand gekühlt werden. Ein neues Niedertemperatur- bzw. Kaltnetz zwischen den Wintersportstätten verringert nicht nur den Stromverbrauch bei der Kälteerzeugung, sondern macht vor allem auch die dabei entstehende Abwärme nutzbar. Dieses kostenfreie Energiepotenzial der Kältemaschinen wird mittels Wärmepumpen zur Beheizung und Warmwasserbereitung der Gebäude sowie der Einspeisung in das neu entstehende Warmnetz weitergenutzt.

Über dieses Fernwärmenetz wird künftig die überschüssige thermische Energie von den Sportstätten in Richtung Stadt geleitet. Auch zwei BHKW und zwei Biomasseheizkessel, die Holzhackschnitzel aus lokaler Produktion verwerten, sollen als Wärmequellen dienen. Insgesamt sollen die Wärmeerzeuger mit einer gesammelten Wärmeleistung von 3.000 Kilowatt in das Wärmenetz einspeisen. Bereitgestellt und gehalten wird die Wärme von einem Pufferspeicher mit einem Fassungsvermögen von circa 100 Kubikmetern. Das Netz wird ein sich in Planung befindendes Hotel sowie die Bundeswehrkaserne am Rennsteig mit umweltfreundlicher Wärme versorgen. Das TWZ selbst wird wärmeautark sein und zudem auch durch dieses Modul Stromkosten einsparen.

Wie das Kaltnetz verbindet nun auch ein neues, TWZ-eigenes intelligentes Strom- und Verteilnetz die verschiedenen Wintersportstätten miteinander. Dazu gehören eine Heizzentrale, Trafostationen und Stromleitungen. Über das neue Stromnetz wird der durch die zwei BHKW und großflächige PV-Anlagen selbstproduzierte Strom verteilt und den Verbrauchern im TWZ verfügbar gemacht. Die mögliche Eigenstromerzeugung beträgt insgesamt bis zu 4,7 Gigawattstunden pro Jahr und soll weitgehend den eigenen Strombedarf decken. Dadurch werden langfristig die Kosten hierfür minimiert.

Die Energiewende sichtbar machen

Setzen der ersten PV-Module in der EISARENA mit Bodo Ramelow und Dr. Hartmut Schubert (Foto: Zweckverband Thüringer Wintersportzentrum Oberhof)Die bereits erwähnten PV-Anlagen sind der sichtbare Teil der Eigenstromversorgung des TWZ. Dieser Punkt ist nicht zu vernachlässigen, besuchten doch allein im bisherigen Jahr 2024 zehntausende Menschen den Biathlon-, Langlauf- und Rennrodel-Weltcup in Oberhof. Hinzu kommen mehrere Millionen TV-Zuschauer*innen – und zwar nicht nur in Deutschland. Die Solarstrom-Module sind also ein klares Zeichen für eine aktiv gestaltete lokale Energiewende und das Aushängeschild der klimaneutralen Energieversorgung der Wintersportstätten Oberhof. Seit Sommer 2022 wurden knapp 2.000 PV-Module auf allen geeigneten Dächern der Wintersportanlangen installiert, die etwa 18 bis 21 Prozent des Eigenbedarfs decken und dann auch während Großveranstaltungen der anderen Wintersportarten gesehen werden. Stromspeicher machen die Energie auch nachts und an bewölkten Tagen nutzbar.

Dabei achten die beteiligten Akteure stets darauf, ihrer Verantwortung gegenüber der Natur gerecht zu werden. „Sport hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Aber Sport steht auch immer im Fokus und oft genug stellen Menschen die Frage, ob die teilweise hohen finanziellen Aufwendungen, für scheinbar wenige Spitzensportler, hinsichtlich ihres ökologischen Fußabdrucks wirklich noch zeitgemäß sind“, stellt Thomas Schulz, Bürgermeister der Stadt Oberhof, fest. „Wir sind dem ZV TWZ außerordentlich dankbar, ein in Deutschland energetisch einmaliges Konzept zum Betrieb der Sportstätten entwickelt und umgesetzt zu haben. Grüne Energie für weiße Sportanlagen ist dadurch in Oberhof nicht nur ein geflügelter Begriff, sondern Realität geworden.“ Auch Dr. Schubert weiß um die Bedeutung umweltfreundlicher Großveranstaltungen: „Wir müssen das gesellschaftliche Leben trotz CO2-Einsparungen in allen Bereichen am Laufen halten und dazu gehört auch Spitzensport.“

Einsparung von 2.900 Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr

Mit dem Abschluss des Modellprojekts soll das Thüringer Wintersportzentrum ab dem Jahr 2028 klimaneutral betrieben werden. Auch die Stadt Oberhof profitiert von den umfangreichen Maßnahmen. Besonders das durch die Energiewende-Bemühungen gesteigerte Image der Wintersportregion dürfte dem kleinen Ort im Thüringer Wald auch weiterhin wirtschaftlichen Auftrieb geben. Das Projekt trägt zudem zum Oberhofer Ziel bei, als Luftkurort anerkannt zu werden.

Die Umsetzung der Maßnahmen zielt neben der zukunftssicheren Gestaltung des Tourismusstandortes auch auf die Einhaltung des Thüringer Klimagesetzes. Danach sollen Treibhausgasemissionen bis 2050 um bis zu 95 Prozent reduziert werden, bis 2030 immerhin um mindestens 60 Prozent. Für die Landstadt selbst gibt es seit 2014 ein integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK), das laut aktuellem Stand von Oktober 2021 unter anderem zu den genannten Zielen beitragen soll. Das ISEK umfasst wiederum einzelne Konzepte für Verkehr, Klima und Wärmeversorgung in Oberhof.

Grundlage der definierten Maßnahmen ist die möglichst flächendeckende Installation von PV-Anlagen und thermischen Solarkollektoren für die Warmwasserversorgung und Heizung der kommunalen Gebäude, Hotels sowie Privathaushalte. Wärmepumpen sollen Wärme aus der Luft, der Erde und dem Wasser nutzbar machen. Potenziale für Geothermie und Windenergie werden zurzeit geprüft. Die in der Folge eingesparten Energiekosten sollen laut ISEK auch dem Verkehrssektor zugutekommen, etwa in Form von E-Carsharing oder kostenlosem ÖPNV in Oberhof.

„Jeder Ort hat seine Besonderheiten“

Dass die bestehende Infrastruktur in Oberhof und die Bedeutung des Wintersportzentrums eine gute Grundlage für energetische Sanierungsmaßnahmen dieses Umfangs darstellen, steht außer Frage. Doch Dr. Hartmut Schubert betont: „Jeder Ort hat seine Besonderheiten. Wir haben eine hohe Konzentration an Spitzensportanlagen. Eine Rennschlittenbahn, bei der nutzbare Abwärme anfällt, hat nicht jeder. Aber man kann hier sehen, wie man vorhandene Energiepotenziale selbst nutzen kann. Das hat einen Vorbildcharakter für andere Standorte, zum Beispiel solche mit ähnlichen Anlagen oder zur klimaneutralen Schneeerzeugung.“

Zu hoffen ist nun auf Nachahmer in anderen Wintersportregionen, von verstärkter öffentlicher Wirkung durch Multiplikatoren wie Medien und Sportler*innen und damit auch von einem noch breiteren gesellschaftlichen Bewusstsein für die Bedeutung der Energiewende.

Die Auszeichnung zur Energie-Kommune des Monats steht unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.