"Die Ziele werden nicht erreicht, wenn nicht die Hemmnisse für die Erneuerbaren beseitigt werden"

Ursula Sladek ist Mitbegründerin des Ökostromanbieter Elektrizitätswerke Schönau (EWS) und engagiert sich seit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 in der Anti-Atomkraft-Bewegung. Heute ist sie im „Verein für eine nationale CO2-Abgabe“ aktiv. Wir sprechen mit ihr über ihre persönlichen Beweggründe, die Entstehungsgeschichte der EWS und die Herausforderungen für Frauen in der Energiebranche.

Das komplette Interview können sie in der digitalen Ausgabe unseres KOMM:MAG lesen.

Foto: Ursula Sladek/ EWSFrau Sladek, 2011 beschloss die Bundesregierung den Atomausstieg, Mitte Mai wurden die Kühltürme von Philippsburg gesprengt. Welche Bedeutung haben diese Ereignisse für Sie?

Meine Vision einer deutschen Energieversorgung ohne Atomenergie rückte schon mit dem Inkrafttreten des Rot-Grünen Atomgesetzes am 1. Januar 2002 in greifbare Nähe. Als die gelb-schwarze Regierung den Atomausstieg im Oktober 2010 zurücknahm, sah ich schon alle Chancen für eine atomstromfreie Energieversorgung dahinschwinden. Doch dann ereignete sich der GAU von Fukushima, was – unterstützt durch starke Anti-Atom-Demonstrationen – in Deutschland zum erneuten Atomausstieg geführt hat. Das brachte mich meiner Vision einer Energieversorgung ohne Atom wieder näher. Die Sprengung der Kühltürme von Philippsburg hat dabei Symbolkraft, ein starkes Bild, das für das Ende der Atomenergie steht. Überhaupt spielen die Bilder eine große, wenn nicht sogar entscheidende Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung: sei es nun Tschernobyl, Fukushima oder eben Philippsburg.

Sie haben mal erzählt, dass es Ihnen nach Tschernobyl nicht ums Politische ging, sondern um das Wohl Ihrer Kinder. Hat sich das im Laufe der Jahre verändert?

Ja sicher ging es mir nach Tschernobyl zunächst um das Wohl meiner Kinder. Es herrschte eine große Unsicherheit darüber, wie gefährlich die Radioaktivität war, die mit Wolken aus der Ukraine hierherkam und durch den Regen auf uns herunterfiel. Da Radioaktivität kindliche Organismen stärker schädigt als die Erwachsener, galt die Sorge vor allem den Kindern, natürlich nicht nur den eigenen. Als wir uns dann relativ früh nach der Katastrophe mit der Frage beschäftigten, was denn zu tun sei, damit der Abschied von der Atomenergie möglichst schnell realisiert und eine alternative Energieversorgung aufgebaut werden kann, war es klar, dass dies nicht nur eine Frage von bürgerlichem Engagement ist, sondern vor allem auch von Rahmenbedingungen, die dies ermöglichen. So haben wir in Schönau, auch ich und mein Mann persönlich, politisch viel gearbeitet, versucht, auf kommunaler Kreis-, Landes- und Bundesebene mit Politikern aller Parteien ins Gespräch zu kommen und sie von unseren Vorstellungen und den Erfordernissen für eine vernünftige Klimapolitik zu überzeugen.

Ganz aktuell setze ich mich mit dem CO2 Abgabe Verein für eine wirksame CO2-Abgabe ein, das bedeutet viel politische Arbeit. Ich bezeichne mich durchaus als politischen Menschen. Doch es geht mir auch heute noch um das Wohl der Kinder, um das Wohl nicht nur heutiger, sondern auch nachfolgender Generationen und nicht nur hier bei uns, sondern überall auf der Welt. 

Zusammen mit Ihrem Mann, Mitstreiter*innen und dank zahlreicher Spenden und Kleininvestitionen haben Sie die Netzkauf Schönau GbR gegründet und das lokale Stromnetz vom damaligen Netzbetreiber übernommen. 1994 gründeten Sie die ElektritizätsWerke Schönau (EWS), den ersten Ökostromanbieter Deutschlands. Was war und ist das Erfolgsrezept?

Ich glaube, dabei waren und sind ganz unterschiedliche Faktoren maßgeblich, wie viele kleine Mosaiksteine, die zusammen ein Bild ergeben. In der Mitte, ganz zentral, steht das Vertrauen. Als wir als Bürgerinitiative angefangen haben, wurden wir erst einmal misstrauisch beäugt, in den achtziger Jahren gab es keine Bürgerinitiativen in dem kleinen Schwarzwaldstädtchen Schönau. Aber wir haben uns das Vertrauen der Bürger erarbeitet, indem wir zum Beispiel beim Stromsparen bei uns selbst angefangen haben. Und erst als wir gesehen haben, welche großen Einsparpotentiale möglich sind, haben wir Stromsparwettbewerbe für den ganzen Ort veranstaltet. Auch die Bereitschaft, sich selbst finanziell zu engagieren, hat eine große Rolle für die Glaubwürdigkeit gespielt, ob wir mit einer kleinen von uns gegründeten Firma Erneuerbare Energien und Blockheizkraftwerke förderten oder selbst Geld für den Netzkauf zur Verfügung stellten, wir redeten nicht nur, wir handelten.

Und natürlich die Gemeinschaft Gleichgesinnter, die gerade in der Phase der intensiven politischen Arbeit bei den Bürgerentscheiden sehr wichtig war. Dabei ist die Art, wie wir mit den Menschen umgehen, auch ein Erfolgsfaktor. Damals bei den Bürgerentscheiden genauso wie heute mit den Kunden der EWS.

Die Erneuerbaren-Branche ist noch stark von Männern dominiert. Woran liegt das?

Die EWS haben viele Auszubildende, aber für das Berufsbild Elektrotechniker bewerben sich nur junge Männer und auch auf Stellenangebote der EWS für Ingenieure oder Ingenieurinnen haben wir fast nur männliche Bewerbungen. Frauen ergreifen in unserem Sektor meist Büroberufe. Ich denke, die Barrieren liegen in den Frauen selbst und auch heute noch an den gesellschaftlichen Rollen. Alles, was mit Technik zu tun hat, wird von Männern dominiert. Aber es kann und wird sich ändern.

Ich halte viele Vorträge zur Umsetzung der Energiewende und versuche neben der Vermittlung von Zahlen, Daten, Fakten, die Zuhörer auch emotional anzusprechen, denn auf dieser Ebene kommt das Wissen zum Handeln. Technik wird oft in einer Sprache vermittelt, die nur Eingeweihte verstehen.

Ein Fokus auf die Stärkung der Frauen und die Nutzung ihres Potenzials sind sehr wichtig. Wir müssen Frauen auch die Möglichkeit von Aufstiegschancen in diesen Berufen geben, so dass sich das technische Studium auch lohnt. Es müssen Strukturen geschaffen werden, die Mutterschaft und Beruf besser vereinbaren, so dass ein Arbeitgeber – wie das in anderen Ländern ist – auch gern eine Frau einstellt.

Für Ihre Arbeit erhielten Sie zahlreiche Preise, unter anderem den Goldman Environmental Prize. Im Zuge dessen trafen Sie den damaligen Präsidenten Barack Obama und übergaben ihm „100 Gründe gegen Atomkraft“. Wenn es um CO2-arme Energie geht, wird nun wieder ausgerechnet die Atomkraft ins Spiel gebracht. Was halten Sie davon?

Sie sagen richtig, CO2-arme Energie, denn auch die Atomkraft führt, wenn man den ganzen „Lebensweg“ vom Uranabbau über den Kraftwerksbau und -rückbau bis zur Endlagerung betrachtet, zum Ausstoß von Treibhausgasen. Das Ökoinstitut hat in einer Studie errechnet, dass „deutscher“ Atomstrom zu rund 32 g CO2-Äquivalente je KWhel führt – in Russland oder den USA sind die Emissionen aus verschiedenen Gründen etwa doppelt so hoch. Windenergie hingegen emittiert nur 16 g CO2 Äquivalente pro KWh.

In Anbetracht der Bedrohung durch die Klimaveränderungen arbeiten in einigen Ländern Wissenschaftler an Prototypen für neue Atomkraftwerke, die angeblich sauber, wirtschaftlich effizient und sicher sind. Aber wurde uns das nicht schon bei der jetzigen Generation von Atomkraftwerken versprochen? Ich glaube nicht an die neuen Verheißungen sicherer Atomenergie.

Wird es Atomkraft noch einmal in Deutschland geben?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass neue AKW in Deutschland durchsetzbar sind und auch nicht, dass Energieversorger dazu bereit sind, noch einmal in eine solch umstrittene Technologie zu investieren. Was ich mir aber vorstellen kann ist, dass der Ausbau der Erneuerbaren bis 2030 durch die vielfältigen Behinderungen nicht so schnell vonstattengeht, wie proklamiert und notwendig, und daher früher oder später der Ruf nach Verlängerung der Laufzeiten der noch bestehenden Atomkraftwerke laut wird. Dies würde die Gefahren von großen Unfällen erhöhen und ebenfalls den Atommüllberg.

Wo sehen Sie die Erneuerbaren 2030?

Bis zum Jahr 2030 soll der Anteil der Erneuerbaren Energien auf 65 Prozent des Bruttostromverbrauchs steigen. Dabei stellt sich als Erstes die Frage: Wie hoch wird der Bruttostromverbrauch im Jahr 2030 sein? Die Bundesregierung geht von einem Verbrauch aus, der „geringfügig unter dem heutigen Niveau“ von 595 TWh liegt. Energiewirtschaftliche Institute und andere Fachleute gehen von einem Anstieg des Bruttostromverbrauchs auf ca. 740 TWh aus. Dieser Unterschied spiegelt sich dann auch in der Höhe der 65 Prozent Erneuerbarer Energien, die entweder 369 TWh oder 481 TWh betragen. Ich gehe von einem Anstieg des Bruttostromverbrauchs aus, weil Einspar- und Effizienzgewinne durch Mehrverbrauch hauptsächlich durch Elektromobilität und Wärmepumpen „aufgefressen“ werden.

Legt man den höheren Bruttostromverbrauch als realistisch zugrunde, kann man davon ausgehen, dass das 65 Prozent Ziel Erneuerbarer Energien auf keinen Fall erreicht wird. Aber selbst, wenn man den niedrigen ansetzt, wird das Ziel nicht erreicht werden können, wenn nicht die Hemmnisse für die Erneuerbaren beseitigt werden.  

Was, denken Sie, sind derzeit die größten Hemmnisse?

Es hat sich gezeigt, dass der Wechsel von festen Vergütungen zu Ausschreibungen den Ausbau der Erneuerbaren Energien extrem bremst. So ist zum Beispiel der Zubau von Windenergieanlagen an Land dramatisch eingebrochen. Die Bedingungen der Ausschreibungen sind so problematisch, dass sogar weniger Angebote eingehen, als das Ausschreibungsvolumen umfasst. Gerade kleine Bürgergesellschaften können die Risiken, die mit der Ausschreibung verbunden sind, nicht auf sich nehmen. Große Projektierer realisieren Projekte nicht mehr in Deutschland, sondern in anderen Ländern. Dabei ist die Windenergie an Land für das 100 Prozent Ziel unverzichtbar.

In einer Studie aus dem Jahr 2019 benannten 73 Prozent der befragten deutschen Unternehmen Bürokratie und komplexe Regularien als Haupthindernisse bei Investitionen in Erneuerbare Energien. Und auch der Hausbesitzer, der sich heute eine PV-Anlage aufs Dach setzen will, kann ein Lied davon singen. Allein das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wuchs von anfangs vier Paragrafen auf heute einhundert und vier Paragrafen. Eine grundlegende Reform und Neuausrichtung von Energiesteuern und -Umlagen am Klimaschutz würden einen Anreiz für nachhaltige Investitionen setzen und zum Wegfall zahlreicher Ausnahmetatbestände und Meldepflichten führen. Daher plädiere ich als Beirätin im CO2 Abgabe Verein für eine CO2-Abgabe, die bestehende Steuern und Umlagen auf Energie finanziert und Bürokratie abbaut.