Die Energiewende zwischen Bekenntnis und Zeugnis

Deutschland und die anderen Länder sind sich einig: Wir müssen die Energiewende voranbringen, um den Klimawandel noch abzuschwächen. Doch über das Wie kann man sich nur schwer einigen. Dieser Zustand zeigt sich nicht nur auf der großen Weltbühne, sondern auch in Deutschland. Lesen Sie dazu im Teil zwei unseres Interviews mit Prof. Dr. Sonja Peterson (IfW) und Prof. Dr. Claudia Kemfert (DIW).

Was sind Ihrer Meinung nach derzeit die größten Hemmnisse für den Energiewende?

Sonja Peterson: Die Welt befindet sich in einer Situation, in der auch diejenigen, die bisher nur einen kleinen Anteil am CO₂-Ausstoß der vergangenen Jahrzehnten hatten, wie beispielsweise etliche Entwicklungsländer, genauso tatkräftig handeln müssen wie die großen Industrieländer, die ihren Wohlstand vor allem auf dem Rücken der fossilen Brennstoffe aufgebaut haben. Und wenn man dann als kleiner Staat tatsächlich mit der Umsetzung der Klimaschutzziele beginnt, wirkt sich das vielleicht erst einmal negativ auf die eigene wirtschaftliche und finanzielle Situation aus. 

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Dies gilt vor allem, wenn die großen Verursacher aus den Industrieländern vielleicht noch gar nichts oder nur sehr wenig unternommen haben. Darüber hinaus zeigen sich die wirklich großen Auswirkungen des Klimaschutzes erst in weiter Zukunft, wohingegen man im Falle der politischen Durchsetzbarkeit immer schon auf die nächsten Wahlen schaut. Da sind sehr unterschiedliche Zeitmechanismen, die hier relevant sind.  Und wenn man Klimaschutz ernst nimmt, ist er ein Angriff auf die Art und Weise, wie wir hier im Westen unseren Wohlstand generiert haben. Die wirtschaftliche Entwicklung seit der industriellen Revolution und verstärkt noch einmal nach dem zweiten Weltkrieg basiert auf einem massiven Verbrauch fossiler Energie. Da unser gesamtes Wirtschaftssystem darauf fußt, ist es sehr schwierig die Ziele adäquat und schnell umzusetzen. 

Darüber hinaus gibt es mittlerweile weltweit immer mehr Länder in Europa, die die Vorreiterrolle der EU beim Klimaschutz hinterfragen. Großbritannien, eigentlich ein großer Verfechter des Klimaschutzes, verlässt die EU. Und in den Entwicklungs- und Schwellenländern sagen sie: Ihr habt den Wohlstand mit fossilen Energien aufgebaut, und ihr sagt uns jetzt, wir dürfen das nicht?

China beispielsweise mit Blick auf die USA tut sich schwer, aber trotzdem wird der Klimaschutz zumindest immer stärker im Land gewahr. Grund hierfür sind auch die starken sozialen Probleme und die Luftverschmutzung, aber es ist schwer zu sagen, ob es in China schnell genug geht. Und auch hier gilt: Klimaschutz in politisch instabilen Verhältnissen ist sehr schwierig, weil er eben auch kostet.  

Positiv ist aber, je mehr Erneuerbare Energien wettbewerbsfähig werden, umso mehr erreichen sie ihren Markt auch unabhängig von jeglicher Klimapolitik. Dies und die stärkere Wahrnehmung der Klimaproblematik tragen dazu bei, dass sich in den vergangenen Jahren nichts destotrotz eine gewisse Eigendynamik entwickelt hat. 

Claudia Kemfert: Die größten Bremser für den Energiewandel hin zu mehr Erneuerbare Energien und Energiesparen sind die fossilen Industrien, deren Geschäftsmodelle mehr und mehr wegbrechen. Sie möchten die – für sie lukrative – Vergangenheit möglichst lange festhalten. Leider finden sie dabei Unterstützung in einigen politischen Parteien, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Dabei sind der Klimawandel und die Abhängigkeit von fossilen Energien eine wesentliche Ursache für zahlreiche Unsicherheiten in der Welt. Durch die Verschlechterung der Lebensgrundlagen entstehen Konflikte, Kriege und verstärkte Migration. Klimaschutz und Erneuerbare Energie stärken Frieden, Demokratien und Wohlstand.

Ist Deutschland noch ein Vorreiter in Sachen Erneuerbare Energien?

Sonja Peterson: Ich glaube schon, dass Deutschland zu den Ländern gehört, die in Sachen Erneuerbare Energien weiter eine Vorreiterrolle einnehmen. Wenn man sich Erneuerbaren Energien anschaut, gehört Deutschland zu den Ländern mit den höchsten Anteilen. Allerdings ist natürlich mit der Umformung des EEG von einer Preis- auf eine Mengensteuerung eine gewisse Bremse eingebaut worden und mit dem Netzausbau kommen wir auch nicht so schnell hinterher. Ich wüsste dennoch nicht, welches Land wirklich sehr viel fortschrittlicher ist als Deutschland. 

Kemfert_72dpiClaudia Kemfert: Leider nein, Deutschland ist vom Vorreiter zum Nachzügler geworden. Dabei sind wir vor 20 Jahren mal gut gestartet: Damals haben wir die innovativen Industrien unterstützt und so die Kosten der neuen Energie-Technologien schnell reduziert. Doch statt nun die Ernte einzufahren, überlassen wir die Märkte und Gewinne anderen. Wir bremsen den Ausbau Erneuerbaren Energien immer weiter aus und verschlechtern die Bedingungen für die Energiewende. Das ist das Gegenteil von wirtschaftlich vernünftiger Politik. Wer Deutschlands Volkswirtschaft dauerhaft fit halten will, muss ran an die Kärrnerarbeit moderner Industriepolitik – und die geht künftig eben nicht mehr zulasten anderer Länder und durch mutwilligen Verschleiß weltweiter Ressourcen, sondern nur im kooperativen globalen Miteinander und unter größtmöglicher Ressourcen- und Energieeffizienz.

Welche Folgen des Klimawandels werden für Deutschland am drastischsten sein? 

Sonja Peterson: Die direkten Auswirkungen des Klimawandels sind in Deutschland eher moderat, die indirekten Auswirkungen werden aber erheblich sein. So rechne ich damit, dass die klimabedingten Entwicklungen in anderen Nationen dazu beitragen, dass hier der Migrationsdruck größer wird. Außerdem wird die weltpolitische Lage sehr viel instabiler werden. Wenn unsere Wirtschaftspartner vom Klimawandel massiv getroffen werden, dann stellt sich natürlich auch die Frage, was mit unseren Exporten passiert. Es wird sicherlich auch positive Effekte geben, wenn beispielsweise die Landwirtschaft hierzulande bessere Voraussetzung durch den Klimawandel findet als in anderen Ländern oder wir technologisches Wissen effizienter nutzen können. Insgesamt werden jedoch die negativen Folgen deutlich überwiegen.

Claudia Kemfert: All diese Entwicklungen verursachen enorme wirtschaftliche Schäden. Der extrem heiße und trockene Sommer hat zu Ernteausfällen geführt; zudem hatten die Flüsse viel zu wenig Wasser. Kraftwerke mussten heruntergefahren werden. Nur dank Erneuerbarer Energien haben wir keine Blackouts erlebt. Und es gab sogar – weil aufgrund der niedrigen Flusspegel die Binnenschifffahrt lahmgelegt war – Benzinknappheit im Westen und Süden Deutschlands, sodass sogar Reserven angezapft werden mussten. Deswegen stiegen die Preise an den Tankstellen. Man mag sich kaum vorstellen, was in diesem Land los gewesen wäre, wenn die Erneuerbaren Energien die Ursache eines derartigen Mangels gewesen wären! 

Solche „Benzin-Not“ ließe sich locker vermeiden, wenn man auf erneuerbare Elektromobilität umstellt. Dann würde man zugleich Treibhausgase reduzieren und den Klimawandel bremsen und somit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Zum ersten Teil des Interviews gelangen Sie hier.

Foto: Prof. Dr. Sonja Peterson (Copyright: IfW), Prof. Dr. Claudia Kemfert (Copyright: DIW)
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