"In der Energiewirtschaft geht es um existentielle Themen"

DRwolffFrau Dr. Wolff, Sie arbeiten bei der Entega AG und sind zusätzlich noch Präsidentin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. Die Entega AG liefert Ökostrom für Verbraucher*innen und investiert in den Ausbau von Erneuerbarer Energien. Wollten Sie schon immer Teil dessen werden?

Das Leben verläuft nicht immer geradlinig. Zunächst habe ich Musik- und Literaturwissenschaft mit dem Studienziel Lehramt studiert, bin also in der Industrie eine so genannte Quereinsteigerin. Initiative und Kreativität sind Fähigkeiten, die ich nicht nur meinem geisteswissenschaftlichen Studium, sondern auch meinem Zuhause in einer Handwerkerfamilie zu verdanken habe. Im Management ist es hilfreich, wenn man wissenschaftliches Arbeiten gelernt hat, insbesondere das präzise und kritische Hinterfragen von Sachverhalten. Das Angebot, in die Energiewirtschaft einzusteigen, kam für mich genau zur richtigen Zeit. Mich reizte die hohe Ernsthaftigkeit der Branche, auch wenn das vielleicht etwas merkwürdig klingt. In der Energiewirtschaft geht es um existentielle Themen: Wer möchte schon ohne Strom, Wärme, Wasser oder schnelles Internet leben?

Was begeistert Sie derzeit am meisten in Ihrem Beruf?

Es gibt gegenwärtig kaum eine spannendere und interessantere Branche als die Energiewirtschaft! Die Themen Dekarbonisierung und Digitalisierung beschäftigen mich bei ENTEGA rund um die Uhr. Und sie verlangen von uns vor allem drei Dinge: eine Weiterentwicklung aller energiewirtschaftlich-technischen und digitalen Kompetenzen im Unternehmen. Eine neue Art des Kundendialogs, der nicht von Commodity- und Preisdiskussionen geprägt ist, sondern von umfangreichen Lösungsangeboten für ein modernes Leben. Und schließlich ein Ende des Silodenkens in den verschiedenen Sektoren, sowohl innerhalb, wie auch außerhalb der ENTEGA. Dafür im ganzen Unternehmen zu werben, neue Methoden zu etablieren, auch Widerstände ernst zu nehmen – damit beschäftige ich mich gerne.

Das Gemeinschaftsunternehmen bauTega ist mit der Entega gekoppelt, kümmert sich aber um Gebäudetechnologie und Wärmeversorgung. Allumfassende Konzepte für Städte und deren Wärme- und Energieversorgung stehen im Vordergrund – Sektorenkopplung wird zum Trend. Was sind Ihrer Meinung nach gerade die drei drängendsten Fragen, die sich hinsichtlich der Energiewende stellen?

Nun ja, Sektorenkopplung soll nicht nur zum Trend werden, sondern ist ein ganz wichtiger Baustein unserer zukünftigen nachhaltigen und sauberen Energieversorgung. Die bauTega soll genau an dieser Schnittstelle agieren. Schließlich geht es hier um rund 17.000 Wohnungen der bauverein AG. Mit der Gründung der gemeinsamen Gesellschaft wollen wir ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele erreichen. So soll die Effizienz der Wärmeversorgung in den Immobilien der bauverein AG gesteigert werden – durch standardisierte, zentrale Heizungsanlagen, den Bau von Blockheizkraftwerken, die Installation von Photovoltaik-Anlagen oder die Einbindung neuer Technologien wie etwa Speicher oder Brennstoffzellen. Von dieser Effizienzsteigerung profitieren die Mieter, da der Energiebedarf sinkt und standardisierte Heizungsanlagen dazu beitragen, die Wartungskosten zu verringern.

Generell kann die Sektorenkopplung einen Beitrag zu den aktuell drängendsten Fragen der Energiewende leisten. Zum Beispiel: Wie sorgen wir vor dem Hintergrund zunehmender fluktuierender Energieerzeugung auch künftig für Versorgungssicherheit bei Strom und Gas in allen Sektoren?

Wo sehen Sie die Erneuerbaren Energien im Jahr 2030?

Deutschland produzierte im vergangenen Jahr bereits 43 Prozent seines Stroms aus Erneuerbaren Energieanlagen. Das ist eine großartige Leistung! Wir könnten allerdings noch weiter sein, vor allem, wenn wir ebenfalls eine „Wende“ im Wärme- und Verkehrsbereich angepackt hätten. Die Nuklearkatastrophe von Fukushima hat 2011 hierzulande ganz forciert zu einer Energiewende geführt, eine Mobilitäts- oder Verkehrswende haben wir allerdings bisher nicht begonnen. Eine sektorübergreifende „Energiewende“ zu organisieren, ist das nächste Zwischenziel bis 2030 und zwar so, dass Deutschland seine hohe industrielle Quote behält und, dass es weder zu Blackouts noch zu exorbitant hohen Preisen kommt.

Seit vielen Monaten gehen auch in Deutschland Schüler*innen jeden Freitag unter dem Motto „Fridays for Future“ auf die Straße. Extinction Rebellion und Ende Gelände üben mit zivilem Ungehorsam Druck aus. Was würden Sie den Demonstrant*innen gerne sagen?

Es ist gut, wenn sich junge Leute politisch engagieren. Und es ist ein Privileg der Jugend, es mit anderen Mitteln zu tun, als das die ältere Generation tun würde. Inhaltlich teile ich die meisten Forderungen der Demonstrant*innen. Was sowohl die Aktionsformen, als auch die Vorstellung der Durchsetzung der Forderungen angeht, bin ich skeptisch. Man braucht sich auf der Extinction Rebellion-Webseite nicht lange durchklicken, um ein merkwürdiges Demokratieverständnis zu entdecken, da geht es schnell um Verbote und Bestrafungen für Menschen, die sich nicht klimaschützend verhalten. In der Demokratie geht es aber immer über die Debatte und das Überzeugen. Bei aller Notwendigkeit von schnellen und wirksamen Maßnahmen für den Klimaschutz, dürfen wir das nie vergessen: Demokratie heißt Diskurs, auch Respekt und Schutz von Minderheiten, Austarieren von Kompromissen, die die Gesellschaft als Ganzes nach vorne bringen.

Welche Persönlichkeiten/ Menschen haben Sie inspiriert – inspirieren Sie?

Ulrich Hartmann, ehemaliger Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender der VEBA bzw. E.ON AG war ein Mensch, der mich persönlich und intellektuell inspiriert hat. Er war für mich Förderer und Mentor in einer Zeit bei VEBA, als vieles im Aufbruch war. Als Chefin der Unternehmenskommunikation arbeitete ich damals eng mit Konzernchef Ulrich Hartmann zusammen und machte mir dessen Management-Grundsätze zu eigen. „Erstens: Wir zocken nicht. Zweitens: Wir machen keine Gags!“ Mit dieser Begründung verweigerte Hartmann damals der konzerneigenen Mobiltelefongesellschaft Otelo die Mittel für die milliardenteure Ersteigerung von UMTS-Lizenzen. Für meine Karriere war E.ON-Chef Hartmann wichtig. Er ermöglichte mir den unüblichen Wechsel von der Kommunikation ins operative Geschäft, als er mich 2002 mit der strategischen Ausrichtung der Konzerntochter EON Sales and Trading in München betraute.

Welches Medienformat bevorzugen Sie, wenn Sie sich zu Themen der Erneuerbaren Energien, Sektorenkopplung und Wasserstoff auf dem Laufenden halten wollen?

Ich bevorzuge digitale Formate wie Branchennewsletter und Onlinemedien. Auch die nationalen und internationalen Fachpublikationen der Energiebranche sind wichtige Quellen, um sich über spezifische Themen auf dem Laufenden zu halten. Zusätzlich liefert mir der regelmäßige Austausch mit Wissenschaftlern der TU Darmstadt und weiteren Forschungsinstituten neue Ideen zur Umsetzung der Energiewende.

Foto: Dr. Marie-Luise Wolff

Dieser Artikel ist im Renews, dem Newsletter der Agentur für Erneuerbare Energien, erschienen.

Kontakt:
Agentur für Erneuerbare Energien e.V.
Anika Schwalbe
Tel: 030 200535-52
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