"Für den Klimaschutz hat die Green Economy eine erhebliche Bedeutung"

Dr. Linda Bergset, selbständig tätige Wissenschaftlerin und Beraterin im Bereich der „Sustainable Finance“, spricht mit uns über Investments in grüne Start-ups, deren Bedeutung für den Klimaschutz und unsere Hausaufgaben beim Public-Private-Partnership.

Frau Dr. Bergset, Sie promovierten 2016 an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zum Thema „Financing Sustainable Entrepreneurship” und arbeiteten für das Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit, das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung und das Ecologic Institut. Sie beschäftigen sich vor allem mit der Green Economy und hier besonders hinsichtlich der Finanzierung grüner Start-ups und möglicher Förderprogramme für diese. Wie wurde Ihr Interesse für dieses Feld geweckt?

Dr. Linda BergsetLinda Bergset: Ich habe mich schon seit meinem Erststudium und somit seit über 15 Jahren mit dem weiten Themenfeld "Sustainable Finance" beschäftigt. Als Studentin der University of Edinburgh in Schottland habe ich mich als Teil der Studentengruppe "People and Planet" dafür eingesetzt, dass die Universität ihr Vermögen nicht mehr in fossile Energieträger investiert. Meine Abschlussarbeit damals fokussierte sich auf die Finanzierung von Genossenschaften. Meine Masterarbeit an der Freien Universität Berlin hat ein paar Jahre später die Integration von Nachhaltigkeitskriterien bei der Kreditvergabe europäischer Banken untersucht. Nach meinem Studium vor gut 10 Jahren habe ich dann beim Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin angefangen und habe dort meine Leidenschaft für nachhaltiges Investment mit dem spannenden Themenfeld der Start-ups verbunden. Jetzt als selbständig tätige Wissenschaftlerin und Beraterin unterstütze ich unter anderem gemeinwohlorientierte Unternehmen dabei, Fördermittel für ihre innovativen Vorhaben zu akquirieren.

Der Startup-Monitor 2020 zeigt: Der Anteil der Startups, die auf externe Finanzierung zurückgreifen, ist auf rund 63 Prozent gestiegen. Fast ein Drittel nannte Business Angels als Geldgeber. Fast jeder Zweite (42 Prozent) wünscht sich finanzielle Stütze von Venture-Capital-Gebern, aber weniger als 19 Prozent erreichen das. Ist es für Start-ups der Green Economy schwieriger, an Geld zu kommen?

Ja und Nein. Es gibt gewisse grüne Start-ups, die hohe Investmentsummen im zweistelligen Millionenbereich zusammenbekommen, das zeigt unter anderem der Green Economy Gründungsmonitor 2017, der einen Finanzierungsschwerpunkt hatte. Für viele grüne Start-ups gibt es aber andere und zusätzliche Hürden als für nicht-grüne Start-ups. In meiner Doktorarbeit zeigte sich beispielsweise, dass innovative grüne Start-ups eher Schwierigkeiten im Kapitalzugang erleben als innovative nicht-grüne Start-ups. Auch der Green Startup Monitor 2020 - der auf den Daten des Deutschen Startup Monitors basiert - verdeutlicht, dass sehr innovative grüne Start-ups einen schwereren Zugang zu Business Angels und Venture Capital haben.

Warum?

Es gibt eine Reihe von möglichen Gründen in der wissenschaftlichen Literatur. Vor allem sind innovative Vorhaben von sogenannten "Spillover-Effekten" charakterisiert, das heißt, Investoren können nicht die ganzen Profite abschöpfen und es entsteht eine "gesellschaftliche Rendite" durch das Vorhaben - also Vorteile für die Gesellschaft. Diese ist bei grünen Start-ups meist noch größer als bei anderen Start-ups. Nicht nur das, sie sind meist einem doppelten Marktversagen ausgesetzt, da sie aufgrund einer fehlenden Internalisierung externer Umwelteffekte in das Marktgeschehen mit "Umweltsündern" im direkten Wettbewerb stehen. Green Economy-Märkte unterliegen stark volatilen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Investoren können die oftmals radikal neuen Geschäftsmodelle der Green Economy noch nicht richtig einschätzen. Es gibt einen "kulturellen" Mismatch von Investoren und manchen nachhaltigkeitsorientierten Gründern und Gründerinnen der Green Economy. Wie Sie sehen: Es gibt viele Erklärungsmodelle, die im Einzelfall zur Geltung kommen könnten.

Gleichzeitig geht der Trend in Richtung Nachhaltigkeit und nicht selten verbandeln sich etablierte Unternehmen mit grünen Start-ups, um ihr eigenes Image aufzupolieren. Wie passt das zusammen?

Hier muss man zwischen strategischer Unternehmensbeteiligung von Unternehmen an Start-ups sogenanntem Corporate Venture Capital und anderen Kooperationsformen, wie Unterstützung von Wettbewerben und Acceleratoren, unterscheiden. Corporate Venture Capital wächst zwar in Deutschland, macht jedoch noch einen überschaubaren Anteil am gesamten Venture Capital-Markt aus. In 2019 lag dieser Anteil ca. 23 Prozent. Nicht-finanzielle Unterstützung ist für Start-ups nett und manchmal fördernd für das Netzwerk, aber vermutlich von geringerer Bedeutung für die Strategie und das Wachstum.

Können und sollten wir hier von anderen Ländern lernen?

Vor allem im Bereich Public-Private-Partnerships sogenannte PPPs sind uns einige europäische Länder voraus. Ich habe 2020 zu einer spannenden Studie beitragen dürfen, in der wir die Bedeutung von Nachhaltigkeit in deutschen Gründerförderprogrammen bewertet haben. Da sieht es nicht so gut aus. In Großbritannien, Frankreich und Schweden gibt es eigene PPP-Investitionsprogramme für grünes Frühphaseninvestment in Norwegen sogar eine eigene Institution: Nysnø Climate Investments.

Wie wichtig ist die Green Economy für Deutschland, die Erneuerbaren Branche und den Klimaschutz?

Jetzt besteht die Green Economy natürlich nicht nur aus Start-ups, aber diese zeigen, wo die Reise voraussichtlich hingeht. Der Anteil der grünen Start-ups am gesamten Gründungsgeschehen beträgt laut dem Green Startup Monitor bereits 21Prozent. Der vergleichbare Anteil ist im Energiesektor mit 59 Prozent beachtlich. Für den Klimaschutz hat die Green Economy eine erhebliche Bedeutung, sowohl durch ihre nachhaltigeren Produktionsweisen als auch durch die Produkte mit einer besseren CO2-Bilanz. Damit die Unternehmen und ihre Produkte jedoch überleben, wettbewerbsfähig sein können und nicht nur ein Nischenphänomen bleiben, ist eine entsprechende Unterstützung durch Förderprogramme, gesetzliche Rahmenbedingungen und die Internalisierung externer Umweltkosten von zentraler Bedeutung.

Wie geht die Branche mit der Pandemie um?

Na ja, Green Economy ist ja ein branchenübergreifender Bereich. Somit geht es den Unternehmen vermutlich entsprechend unterschiedlich gut oder schlecht in der Pandemie. Für die Start-ups lässt sich laut dem Green Startup Monitor sagen, dass 81 Prozent ein digitales (oder hybrides) Geschäftsmodell haben und viele kommen somit vielleicht ganz gut davon. Die Pandemie hat sicherlich die Kraft einer schöpferischen Zerstörung, was die Marktentwicklung generell und auch die der Green Economy angeht. Somit werden sich bereits abzeichnende Trends wie die der Digitalisierung durch die Pandemie vermutlich verstärken und beschleunigen. Auf der anderen Seite besteht natürlich auch der Bedarf einer staatlichen Unterstützung der Unternehmen in der Pandemie, um die Bedeutung der Green Economy in Deutschland zu erhalten und weiter zu stärken.

Welche Persönlichkeiten oder Ereignisse inspirierten Sie hinsichtlich Ihrer Karriere und wer oder was inspiriert Sie heute?

Als Norwegerin bin ich in den achtziger Jahren mit Umweltprogrammen für Kinder im Fernsehen aufgewachsen. Der Wichtigkeit von Umweltschutz war ich mir somit sehr früh bewusst und das hat meine Persönlichkeit sowie meinen späteren Karrierewunsch entsprechend geprägt. Heute inspirieren mich vor allem die Start-ups mit ihrer Ungeduld, Nachhaltigkeitsorientierung und dem Mut zum Scheitern. Sie haben mich vor zwei Jahren in meiner Entscheidung, mich selbständig zu machen, gestärkt. Zudem denke ich, dass wir nur mit ihrer Herangehensweise die radikalen Innovationen und Lösungen entwickeln und umsetzen werden, die wir für eine Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft benötigen.