Wasser, Strom, Resilienz: Ein kommunales Unternehmen im Wandel

Goražde setzt auf Wandel – und an der Spitze steht eine junge Direktorin mit klarer Vision: Senada Mirvić will das traditionsreiche Versorgungsunternehmen „6. Mart“ in eine moderne, klimafreundliche Zukunft führen. Statt sich mit veralteter Technik und horrenden Stromkosten abzufinden, denkt sie in Lösungen: Solarstrom für das Wasserwerk, effizientere Systeme, mehr lokale Unabhängigkeit. Erneuerbare Energien sind für sie kein Symbol, sondern ein Werkzeug – für eine Stadt, die erneut aus eigener Kraft resilient wird.

Frau Mirvić, Goražde ist eine von acht Städten, die an unserem vom Auswärtigen Amt geförderten Projekt Energiewende Partnerschaft teilnehmen. Im Zuge dessen hatte ich im August die wunderbare Gelegenheit, Sie mit der Delegation aus der Partnerstadt Greifswald zu besuchen. Sie haben im Winter 2024 als Direktorin bei dem öffentlichen Versorgungsunternehmen „6. Mart“ angefangen. „6. Mart“ ist ein Datum. Worauf bezieht es sich?

Adisa Mirvić (Foto: AEE)Der 6. März 1945 ist das Datum der Befreiung von Goražde während des Zweiten Weltkriegs. 1958 wurde es als Unternehmen für die Bereitstellung kommunaler Dienstleistungen, für die Bevölkerung gegründet. Eine Zeit, in der viele Institutionen und Straßen nach wichtigen Daten und Gefallenen benannt wurden. Das Hauptwasserversorgungssystem wurde in den 1950er Jahren gebaut, das Abwassersystem in den 1970er Jahren. Beide Aktivitäten bildeten die Grundlage für die Gründung des Unternehmens. Im Laufe der Zeit expandierte das Unternehmen und übernahm weitere kommunale Dienstleistungen wie Müllabfuhr, Pflege und Gestaltung von Grünflächen und ähnliche Tätigkeiten.

Vor Ihrer neuen Rolle als Direktorin arbeiteten Sie bereits über acht Jahre bei „6. Mart“. Inwiefern hat Sie dies auf diese anspruchsvolle Position vorbereitet?

Während meiner Tätigkeit bei diesem öffentlichen Versorgungsunternehmen war ich in verschiedenen Bereichen tätig, wodurch ich mich mit den bestehenden Herausforderungen vertraut machen konnte. Die Übernahme der Position als Direktorin war eine große Herausforderung, insbesondere als junge Frau am Anfang ihrer Karriere. Mit der Unterstützung meiner Mitarbeiter*innen und natürlich mit der Hilfe unseres Gründers – der Stadt Goražde – haben wir jedoch die Probleme im Rahmen unserer Möglichkeiten adressiert.

Wie möchten Sie als Leitung einen wichtigen Beitrag zum öffentlichen Dienst und zur Stadtorganisation leisten?

Da die Stadt Goražde dieses Unternehmen gegründet hat, um kommunale Dienstleistungen zu erbringen, besteht unsere Hauptaufgabe darin, die Bedürfnisse und Wünsche unserer Mitbürger*innen zu erfüllen: die regelmäßige Wasserversorgung sicherzustellen, ein ordnungsgemäßes Abwassernetz zu unterhalten, für die regelmäßige Müllabfuhr zu sorgen, Grünflächen zu pflegen und bei Bedarf auch ungeplante Aufgaben zu übernehmen. Ich bemühe mich, die finanzielle Situation des Unternehmens zu verbessern, um bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen und unseren Mitarbeiter*innen höhere Gehälter zu bieten.

Ist das die größte Herausforderung?

Die größte Herausforderung für das Unternehmen ist nach wie vor der Mangel an qualifiziertem Personal. Angesichts der Art unserer Arbeit ist es auch notwendig, unsere Maschinen, Geräte und unseren Fuhrpark zu modernisieren, was die Arbeit unserer Mitarbeiter*innen erheblich erleichtern würde. Aufgrund unzureichender finanzieller Mittel sind wir nicht in der Lage, neue Mitarbeiter*innen einzustellen, obwohl diese dringend benötigt werden – von der Wasserfabrik bis hin zu den städtischen Instandhaltungsarbeiten.

Der Fluss Drina, aus dem sich auch die Wasserversorgung speist, spielte bereits im Bosnienkrieg eine wichtige Rolle. Welche?

Foto: AEEWährend des Krieges hatte Goražde keinen Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung, da das Wasser vor dem Krieg aus der Nachbarstadt Čajniče (Republika Srpska) kam (Anm. d. Red. In Bosnien und Herzegowina existieren die zwei Entitäten: Föderation Bosnien und Herzegowina und die serbisch geprägte Republika Srpska (VRS). Die Gemeinde Goražde mit ihrer überwiegend muslimischen Bevölkerung wurde während des Bosnien-Krieges von den serbischen Einheiten eingekesselt, von allem Lebensnotwendigen abgeschottet, und war trotz ihres Status als „Safe Haven“ der UN ständig den Angriffen der serbischen Truppen ausgeliefert.). Die lokale Bevölkerung versorgte sich aus nahegelegenen Quellen, während sie für den größeren Bedarf auf den Fluss Drina angewiesen war, zum Wäschewaschen, für Toiletten usw. Es gab auch keinen Strom. Eine Gruppe von Bürger*innen, geleitet von einem Automechaniker und mehreren Ingenieuren, entwarf kleine Wasserkraftwerke, die in den Fluss Drina getaucht wurden und während der Kriegszeit eine Mindestmenge an Strom für das Krankenhaus, Radiosender und andere wichtige Dienste lieferten.Foto: AEE

Und heute?

Der Fluss Drina ist nicht nur das Juwel unserer Stadt, sondern auch die Quelle für die Wasserversorgung unserer Stadt. Wir nutzen eine Wasserentnahmestelle in Vitkovići, wo sich die Wasserfabrik befindet, die die gesamte Stadt mit Wasser versorgt. Das Wasserversorgungssystem wurde 1998 auf dem Gelände des ehemaligen Industriekomplexes „AZOT” und seiner technischen Wasseraufbereitungsanlage errichtet. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch die vorhandenen Pumpen – ursprünglich um 1950 hergestellt – in Betrieb genommen.

In welchem Zustand befindet sich die Wasserfabrik?

Die Ereignisse der Nachkriegszeit und die Privatisierung von öffentlichem Eigentum haben zu einer Reihe von Problemen hinsichtlich der Wasserfabrik selbst geführt. Derzeit befindet sich Foto: AEEdie Anlage im Besitz der Regierung des bosnisch-podrinischen Kantons Goražde, während sie von dem öffentlichen Versorgungsunternehmen „6. Mart“ Goražde verwaltet wird. Aufgrund dieses komplexen Systems sind es die Bürger*innen, die am meisten darunter leiden. Wir hoffen, dass auch dieses Problem in Zukunft gelöst wird.

Die Anlage selbst befindet sich in einem sehr schlechten Zustand, insbesondere das Dach, das vor vier Jahren bei einem starken Sturm beschädigt wurde. Ich hoffe, dass sowohl die Eigentümer als auch die Gründer die notwendigen Mittel für die Reparatur dieses Teils des Gebäudes bereitstellen werden.

Während unseres Besuchs mit der Delegation aus Greifswald haben Sie uns erzählt, dass die Wasserfabrik aufgrund der alten Pumpen viel Strom verbraucht. Könnten Sie uns sagen, wie viel Strom die Fabrik benötigen würde, um rentabel zu sein?

Wie bereits erwähnt, stammen die derzeit verwendeten Pumpen aus dem Jahr 1950, und Ersatzteile dafür sind nicht mehr erhältlich. Der Austausch dieser Pumpen würde wahrscheinlich auch die Stromkosten senken. Derzeit belaufen sich die monatlichen Stromrechnungen des Unternehmens auf etwa 30.000 Euro.

Haben Sie erwogen, Erneuerbare Energien für das Unternehmen zu nutzen, und was wäre erforderlich, um auf diese umzusteigen? Was sind die größten Hindernisse?

Ja, wir möchten Sonnenkollektoren auf dem Dach unserer Anlage installieren, wodurch die Stromkosten und damit auch die Kosten für die Wasserverteilung erheblich gesenkt werden könnten. Die Erstellung der Projektunterlagen und die Installation der Kollektoren sind jedoch mit Kosten verbunden, die dieses öffentliche Versorgungsunternehmen nicht aus eigener Kraft finanzieren kann. (Anm. d. Red.: Falls jemand Interesse an einem Austausch zu dieser Herausforderung hat und Chancen sieht, kann er/sie sich gern an uns wenden)

Wie würden Sie die Rolle beschreiben, die Erneuerbare Energien in Kriegszeiten und nach Krisen spielen könnten?

Unsere Erfahrungen aus der Kriegszeit haben gezeigt, dass in jedem Konflikt der Bevölkerung zuerst Wasser und Strom vorenthalten werden, wodurch auch der Informationsfluss unterbrochen wird. Erneuerbare Energiequellen sind für jede lokale Gemeinschaft die einzige Lösung, um vollständige Blockaden während Kriegszeiten zu vermeiden. Durch den Bau kleiner Wasserkraftwerke am Fluss Drina wurde Goražde wieder mit dem Rest der Welt verbunden, was das Leben seiner Bewohner*innen erheblich erleichterte.


Kontakt:

Anika Schwalbe
Projektleitung: Energiewende Partnerstadt 3.0
a.schwalbe@unendlich-viel-energie.de