Energie-Kommune des Monats: Gemeinde Bosbüll

Juli 2023

Nur zehn Kilometer vom Nordseestrand entfernt liegt die kleine nordfriesische Gemeinde Bosbüll. Obwohl der Ort in der Nähe der dänischen Grenze nur 254 Einwohner*innen zählt, hat er in Bezug auf Erneuerbare Energien Leuchtturm-Status für die gesamte Bundesrepublik: Zwei Wind- und zwei Solarparks produzierten im Jahr 2021 etwa 50 Gigawattstunden Strom. Damit könnten rein rechnerisch 20.000 Durchschnittshaushalte versorgt werden. Dieser enorme Überschuss wird allerdings längst nicht mehr nur in das Netz eingespeist, sondern auch zur Umwandlung in nachhaltige Wärme und grünen Wasserstoff für den lokalen und regionalen Verbrauch genutzt. Durch die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr werden die Energieversorgung optimiert und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit der Anlagen deutlich erhöht.

Das Bosbüller Nahwärmenetz versorgt aktuell 25 Haushalte mit nachhaltiger Wärme. (Foto: GP JOULE GmbH)

Skepsis gegenüber Erneuerbare-Energien-Anlagen kennt man in Bosbüll nur aus dem Fernsehen. Schon in den Neunzigerjahren entstand hier der erste Windpark. Die hohe Windhöffigkeit versprach hohe finanzielle Gewinne, woraufhin sich auch weitere Einwohner*innen für eine Beteiligung interessierten und ein zweiter, diesmal ein Bürger*innenwindpark entstand. Gleiches Spiel beim Bau des Solarparks, dem ein Bürger*innensolarpark folgte. Das halbe Dorf ist heute an den Anlagen beteiligt und die Akzeptanz entsprechend groß. So steht es auch um das Bewusstsein für den Klimaschutz, denn Nordfriesland drohen durch die Klimakrise drastische Konsequenzen: Der nördlichste Landkreis Deutschlands läge bereits bei einem Meeresspiegelanstieg von nur einem Meter größtenteils unter Wasser und Bosbüll direkt am Meer.

Kompetenzbündelung für Klimaschutz und Wertschöpfung

Trotz der lokalen Erneuerbare-Energien-Anlagen bezog die Gemeinde ihren Strom lange aus dem immer noch zu großen Teilen durch fossile Energieträger gespeisten Stromnetz, die Wärmeversorgung basierte auf fossilen Brennstoffen und Tankstellen verkauften ausschließlich fossile Kraftstoffe. All dies führte neben der Freisetzung klimaschädlicher Treibhausgase auch zu Ineffizienzen, der unkalkulierbaren Abhängigkeit von Importen und nicht zuletzt zu einer finanziellen Belastung jeder und jedes Einzelnen durch hohe Energiepreise. Um dem entgegenzuwirken, gründeten der lokale Anlagenbetreiber, der Energieversorger GP JOULE und die Gemeinde Bosbüll im Jahr 2018 gemeinsam die Bosbüll Energie GmbH.

Ziele des neuen Unternehmens, dessen Geschäftsführer der Bosbüller Bürgermeister Ingo Böhm ist, sind die Reduktion der CO2-Emissionen als Beitrag zum Klimaschutz, die Sicherung der lokalen Wertschöpfung, die Fortführung der Erträge aus Erneuerbaren Energien durch Möglichkeiten zum Weiterbetrieb der Anlagen auch nach dem Ende der EEG-Förderung durch die Bereitstellung nachhaltiger Wärme. Diese Ziele möchten die Beteiligten vor allem durch Synergieeffekte, die durch die konsequente Kopplung von Strom-, Wärme- und Verkehrssektor entstehen, erreichen.

Aus Strom wird Wärme – Power-to-Heat in Bosbüll

Im September 2021 wurde das Bosbüller Nahwärmenetz, das Wärme aus regionalem regenerativem Strom liefert, als erste Power-to-Heat-Anlage Schleswig-Holsteins eröffnet. Eine Luft-Wärmepumpe und ein thermischer Speicher mit integriertem Heizstab ermöglichen in Zeiten des Strom-Überangebots im öffentlichen Netz die Nutzbarmachung andernfalls abgeregelten Wind- und Solarstroms. Im ersten Schritt wurden 25 Wohnhäuser sowie ein an die Wärmezentrale angrenzender landwirtschaftlicher Betrieb mit regenerativer Wärme versorgt. Weitere Haushalte bekundeten bereits Interesse, nachträglich an das Netz angeschlossen zu werden.

Die Vorteile der Nahwärme sind vielfältiger Natur: Die Einbindung verschiedener regenerativer Quellen garantiert eine sehr hohe Ausfallsicherheit, bei der umweltfreundlichen Energiegewinnung entstehen keine klimaschädlichen Treibhausgase und die preiswerte Wärme sorgt für eine größere Unabhängigkeit gegenüber Preisschwankungen an den Weltmärkten. „Als wir vor drei Jahren angefangen haben, haben wir für die Wärme einen Kilowattstundenpreis von zehn Cent aufgerufen. Da haben viele gesagt, das ist zu teuer. Das kann ich nachvollziehen, Gas hat nur fünf Cent gekostet. Inzwischen bekommt keiner mehr Gas für fünf Cent und wir sind hier mit unserer Wärme aus Erneuerbaren Energien der günstigste Anbieter. Bei all den fürchterlichen Auswirkungen des Ukraine-Krieges sehen wir, dass wir schneller auf Erneuerbare umsteigen müssen. Dann werden auch andere Energiesysteme konkurrenzfähiger“, so Böhm. Das eigene Netz sichert die Wertschöpfung vor Ort und die Nahwärme kann künftig die bislang noch dominierenden Ölheizungen ersetzen.

Grüner Wasserstoff für die Verkehrswende

Mit dem Wasserstoff aus Bosbüll wird auch die eFarm-Tankstelle in Niebüll beliefert. (Foto: GP JOULE GmbH)In der Gemeinde investiert das ebenfalls von GP JOULE initiierte Verbundprojekt eFarm in die Produktion von grünem Wasserstoff: Ein mit erneuerbarem Strom betriebener Elektrolyseur erzeugt mittels der Power-to-Gas-Technologie das klimaneutrale Gas für den ÖPNV und Pkw mit Brennstoffzelle. So sollen allmählich Benzin und Diesel aus dem regionalen Markt verdrängt werden. Auch die Abwärme aus der Elektrolyse wird für das Wärmenetz genutzt. Bürgermeister Ingo Böhm blickt optimistisch in die Zukunft: „Wir liefern den grünen Wasserstoff an Tankstellen in Niebüll und Husum und zeitweise sogar bis nach Bremen. Auf Dauer soll die Produktion hier ausgeweitet und ein Teil ins Gasnetz eingespeist werden. Zurzeit bauen wir zwei weitere Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen. Bei einer Einwohnerversammlung haben 78 von 80 dafür gestimmt.“ Geplant ist auch der Bau eines zusätzlichen Windparks ab 2024. Mit mehr Strom soll mehr grüner Wasserstoff erzeugt werden. Auf dieser Grundlage ist auch die Versorgung einiger Nordseefähren und eines Teils des Schienenverkehrs denkbar.

Daten für effiziente Sektorenkopplungsprojekte durch das OptiNetz Bosbüll

Um das Potenzial von Energiesystemen und Wärmenetzen künftig noch besser auszuschöpfen und praktische Erkenntnisse bundesweit neuen Vorhaben zur Verfügung zu stellen, führt ein Forschungsnetzwerk unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) das Projekt OptiNetz Bosbüll durch. Dabei fließen Fördergelder des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz in Höhe von 2,7 Millionen Euro über drei Jahre in die Evaluation und Optimierung des Bosbüller Energiesystems. „Das ist für uns natürlich genial“, freut sich Ingo Böhm über die Untersuchung lokaler Synergieeffekte. „Das wird uns ein ganzes Stück weiterbringen, was die Dimensionierung und das Zusammenspiel der Komponenten sowie die Optimierung der Abläufe angeht. Wir sind guter Hoffnung, dass uns das noch einen gewissen Entwicklungsfortschritt bringt und wir für weitere Projekte auf die Erkenntnisse zurückgreifen können.“ Die Ergebnisse werden anschließend in einer intelligenten Software gebündelt, die eine Skalierung sowie eine gesteigerte Effizienz geplanter Power-to-Heat-Anlagen ermöglichen soll. So können deutschlandweit Gemeinden und Projektierer kostenlos davon profitieren.

Der Bosbüller Bürgermeister führt weiter aus: „Diese Optimierung führt dazu, dass sich die Wirtschaftlichkeit steigern lässt. Im Moment sind wir noch in einem Bereich, auch beim Wasserstoffpreis, in dem wir nicht wirklich konkurrenzfähig sind. Das liegt aber in der Natur der Sache, da das ja noch eine relativ neue Technologie ist. Wir erhoffen uns, dass wir die Produktion mit dem neuen Tool langfristig wirtschaftlich gestalten können.“

Mit dem Ausbau der Erneuerbare-Energien-Anlagen und des Wärmenetzes, der Steigerung der Wasserstoffproduktion und den Erkenntnissen des Projektes OptiNetz Bosbüll strebt die kleine nordfriesische Gemeinde eine fossilfreie, auf regionalen Lieferbeziehungen basierende Energieversorgung an, die alle Sektoren umfasst.


Weitere Informationen zum Projekt Forum Synergiewende finden Sie hier: https://www.unendlich-viel-energie.de/projekte/forum-synergiewende/projekt-forum-synergiewende