"Jeder Wärmeplan ist ein Einzelstück, wenngleich die Methodik gut übertragbar ist"
Die kommunale Wärmeplanung nimmt Fahrt auf. Im Gespräch mit Madita Seefeld, Projektingenieurin bei Theta Concepts, wollten wir wissen, wie die Planungen in der Praxis laufen, welche Stolpersteine es gibt und welche Erfolgsfaktoren sich bereits abzeichnen.
Frau Seefeld, viele Kommunen haben inzwischen erste Wärmepläne vorliegen. Wo sehen Sie aktuell den größten Unterschied zwischen einem theoretisch guten Plan und einer tatsächlich umsetzbaren Wärmewendestrategie?
Ein guter Wärmeplan beschreibt eine oder mehrere Möglichkeiten der flächendeckenden, klimaneutralen Wärmeversorgung basierend auf lokalen Potenzialen bis spätestens 2045. Ein umsetzbarer Wärmeplan geht über die statische Definition eines „Ziel-Zustandes“ hinaus: Er übersetzt das Zielszenario in kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen mit klaren Zuständigkeiten und nachvollziehbaren Kontrollparametern.
Was ist dabei wichtig?
Entscheidend ist, dass er reale Kapazitäten berücksichtigt - vom jährlichen Ausbau der Fernwärme über die Heizungstausch-Rate bis hin zu verfügbaren Handwerks-, Planungs- und Tiefbauressourcen. Ein umsetzbarer Plan quantifiziert diese Engpässe, identifiziert zu priorisierende Gebiete bei limitierten Kapazitäten und passt die Transformation an das tatsächlich Leistbare an, statt umgekehrt. Dazu ist es notwendig, zentrale Akteure wie Organe der Verwaltung, Energieversorgungs- und Wohnungsunternehmen mit ihren Plänen und Limitierungen intensiv in die Erarbeitung des Wärmeplans einzubeziehen.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist der Wissenstransfer. Die Wärmewende passiert nicht nur in der Fernwärme oder der Transformation des Erdgasnetzes, sondern auch im Heizungstausch und der Gebäudesanierung im privaten Bereich. Hier gibt es bei Bürger*innen viel Verunsicherung. Damit die dezentrale Wärmewende gelingt, muss der Wärmeplan gut verständlich und nachvollziehbar aufbereitet sein. Darüber hinaus ist die Vermittlung von Anreizeffekten wie Förderungen und Ansprechpersonen sowie eine Klärung des gesetzlichen Rahmens essenziell, um den Heizungstausch voranzutreiben. Diese Aspekte greifen wir bei der Formulierung des Wärmeplans und der Kommunikationsstrategie auf, um einen umsetzungsorientierten Wärmeplan bereitzustellen.
Daten gelten als das Fundament jeder Wärmeplanung – zugleich sind sie oft der größte Engpass. Welche Daten fehlen in der Praxis am häufigsten und wie gehen Sie mit solchen Lücken um?
Die Datenbeschaffung und -aufbereitung sind Schlüsselelemente der Wärmeplanung und für den Projektverlauf häufig als Nadelöhr zu sehen. Das liegt insbesondere daran, dass die Datenbereitstellung auf Seiten der Akteure Aufwand erzeugt und Kapazitäten bindet. Zudem bestehen häufig Bedenken und Einschränkungen hinsichtlich des Datenschutzes.
Besonders häufig fehlen uns Daten zur dezentralen Wärmebereitstellung. Über verbrennungsbasierte Heizungen, unter anderem Heizöl, Flüssiggas, Biomasse können uns aggregierte Kehrbuchdaten - sofern rechtzeitig geliefert - Auskunft geben, Wärmepumpen und Direktstromheizungen werden aber i.d.R. nirgendwo zentral erfasst. Daher nutzen wir zusätzlich statistische Geodaten (infas 360), um Datenlücken zu schließen. Moderne, bildbasierte Geodatendienste helfen, sich aus der Ferne einen Überblick über das Planungsgebiet zu verschaffen und virtuell durch Wohngebiete zu gehen. So lassen sich manchmal etwa Wärmepumpen in Vorgärten identifizieren.
Ebenso lückenhaft ist regelmäßig die Bereitstellung von Daten zu Prozesswärmebedarfen, also Wärmebedarfen aus dem industriellen/gewerblichen Bereich, die über normale Raumwärme- und Warmwasserbedarfe hinausgehen. Diese können wir in der Regel identifizieren, indem wir die für ein Gebiet methodisch bilanzierten Wärmebedarfe mit den Realverbrauchsdaten der Versorger vergleichen. Inzwischen sind wir geübt darin, Bäckereien, Wäschereien und andere „versteckte“ Großverbraucher ausfindig zu machen.
Sie nutzen in Ihren Projekten digitale Werkzeuge, GIS-Analysen und Simulationen. Wie verändern diese Tools die Qualität und Effizienz der Wärmeplanung?
Wir betreuen zum Teil sehr große Gemeinden oder Gemeindezusammenschlüsse/Amtsbereiche im Konvoi. Ohne strukturierte Arbeitsabläufe, digitale Werkzeuge und Automatisierungen könnten wir entsprechende Gebiete nicht beplanen, oder würden mit der Wärmeplanung hohe Kosten verursachen. Wir haben viel Zeit dafür eingesetzt, eigene Methoden und digitale Lösungen zu kreieren, die uns Zeit ersparen. Diese ermöglichen eine flächendeckende Bestands- und Potenzialanalyse, die auf diversen Eingangsparametern beruht, sowie eine objektive Ausweisung von Eignungsgebieten für die zentrale und dezentrale Wärmeversorgung. Mit Geoinformationssystemen (GIS) lassen sich Analyseergebnisse zudem sehr gut räumlich verorten, verständlich darstellen und für Entscheidungen aufbereiten. Darüber hinaus haben wir ein Klima-Dashboard entwickelt, um die Kommunikation der Wärmeplanung effizient und barrierearm zu gestalten. Ohne etwaige Lösungen stehen Aufwand und Ergebnis der Wärmeplanung sehr wahrscheinlich nicht im Verhältnis.
Jede Kommune tickt anders – von der kleinen Landgemeinde bis zur Großstadt. Wie passen Sie Ihre Herangehensweise an, damit alle Beteiligten – von Verwaltung über Stadtwerke bis Bürger*innen – mitgenommen werden?
Für die Entwicklung eines umsetzungsorientierten Wärmeplans, der von Akteuren und der Öffentlichkeit Akzeptanz erfährt, ist die partizipative Erarbeitung entscheidend. Wir messen der Beteiligung einen hohen Stellenwert bei und entwickeln den Wärmeplan in der Regel sukzessive in mehreren sequenziellen Beteiligungsformaten. Vor allem zu Beginn der Wärmeplanung ist es wichtig, die Sichtweisen, Erwartungen und bestehenden Planungen der lokalen Akteure und auch der Öffentlichkeit aufzunehmen und die Ausarbeitung sowie fortlaufende Kommunikation darauf abzustellen. Daher wird für jeden Wärmeplan ein Arbeits- und/oder Lenkungskreis aus den relevanten lokalen Akteuren gebildet, die (Zwischen)Ergebnisse abnehmen, Input liefern und die strategische Ausrichtung des Wärmeplans maßgeblich mitbestimmen. Je nach Planungsgebiet kann dieser Kreis aus weniger als 10 bis mehr als 30 Personen bestehen. Sowohl die lokalen Gegebenheiten, die Ausrichtung als auch bestehende Planung sind in jeder Gemeinde verschieden. Daher ist jeder Wärmeplan ein Einzelstück, wenngleich das methodische Vorgehen gut übertragbar ist.
Haben sich für einzelne Aufgaben im Laufe der Zeit Best-Practice-Lösungen entwickelt oder ist die Aufgabe der Wärmeplanung zu individuell?
Einige Herangehensweisen haben sich für uns als sehr förderlich für den Projektverlauf herausgestellt. Zum einen starten wir in der Regel jedes Projekt mit einem persönlichen Kickoff vor Ort, zu dem alle wesentliche Akteure eingeladen werden. Dies schafft Vertrauen in die anstehende Zusammenarbeit und erleichtert häufig die Datenbereitstellung. Darüber hinaus arbeiten wir mit strukturierten Datenbedarfslisten, die Akteuren und Akteursgruppen zugewiesen und fortlaufend aktualisiert werden. Dieses Vorgehen im Verbund zu DSGVO-konformen Datenmanagement-Lösungen hat den Prozess der Datenbeschaffung deutlich verbessert.
Die Bestands- und Potenzialanalyse läuft dank unserer Automatisierungen und Methoden sehr standardisiert ab. Die Entwicklung des Zielszenarios mit der finalen Gebietseinteilung und der daraus abgeleiteten Wärmewendestrategie ist dagegen sehr individuell, da die unterschiedlichen lokalen Akteure oft eigene Pläne und Visionen haben. Zudem erfolgt hier in der Regel der Realitätscheck, bei dem das gewünschte Ausbauszenario mit den verfügbaren Ausbaukapazitäten abgeglichen und gegebenenfalls angepasst werden muss.
Darüber hinaus haben sich bei uns verschiedene Beteiligungsformate etabliert, um den Fortschritt der Wärmeplanung sukzessive abnehmen zu lassen. So folgt auf die Präsentation in einer zu bildenden Lenkungsgruppe in der Regel eine Vorstellung in politischen Gremien und anschließend in der Öffentlichkeit. Diese Mehrstufigkeit schafft den Rahmen für Mitwirkung und Mitgestaltung. Auch dies fördert Akzeptanz.
Gibt es aus Ihrer Erfahrung ein Beispiel, wo ein innovativer Ansatz – etwa bei der Datenerhebung oder Beteiligung – besonders gut funktioniert hat? Und was können andere Kommunen daraus lernen?
Der Wärmeplan soll als Blaupause für die Umsetzung und das Gelingen der Wärmewende dienen. Hierfür ist ein umfassender Wissenstransfer erforderlich. Das gilt sowohl für die Vermittlung von Fördermitteln für Heizungstausch und Sanierung als auch in Bezug auf die Bekundung des Anschlussbegehrens für Fernwärme oder die Formierung einer Energiegenossenschaft. Diese Transferleistung der Wärmeplanung übersteigt die in den Gemeinden vorhandenen Kapazitäten zur Steuerung der Wärmewende bei weitem. Aus diesem Grund haben wir in Zusammenwirken mit verschiedenen Gemeinden ein Klima-Dashboard als webbasierte Kommunikationslösung entwickelt, die Anwohnenden viele Fragen in Bezug auf die Wärmeplanung und zukünftige Versorgungsangebote beantwortet und den Versorgern bzw. der Gemeinde hilft, den Wunsch nach Infrastruktur z.B. Fernwärme besser zu erfassen.
Gesetzliche Vorgaben, etwa durch das Wärmeplanungsgesetz oder Förderprogramme, verändern sich derzeit schnell. Wie flexibel müssen Wärmepläne gestaltet sein, um auf neue politische oder technologische Entwicklungen reagieren zu können?
Der Wärmeplan ist nicht als starres Dokument zu sehen. Es ist ein Planungswerkzeug, das alle 5 Jahre fortzuschreiben ist, um es auf Aktualität und veränderliche Randbedingungen zu prüfen. Um frühzeitig weitreichende Planungssicherheit zu generieren, ist es hilfreich, die Planungsaufgabe aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und unterschiedliche Szenarien zu analysieren. Die Wärmewendestrategie sollte anschließend auf dem – nach aktuellem Daten- und Informationsstand – wahrscheinlichsten Versorgungsszenario aufbauen.
Wärmepläne gewährleisten zudem Technologieoffenheit, indem sie Eignungsgebiete für zentrale und dezentrale Versorgung ausweisen und Möglichkeiten zur Versorgung aufzeigen, ohne die Wärmeerzeugungstechnologie verbindlich festzulegen. Innerhalb dieser Kulisse entscheiden Versorger und Einwohnende nach Maßgabe der geltenden gesetzlichen und förderrechtlichen Rahmenbedingungen über die technisch und wirtschaftlich geeignetste Lösung.
Insbesondere im gesetzlichen und förderpolitischen Rahmen sind Veränderungen erwartbar, wenngleich das große Ziel und die Richtung sehr wahrscheinlich bestehen bleiben. Eine echte Herausforderung würde die Auflösung möglicher Förderinstrumente für Fernwärme, den Heizungstausch und Sanierung bedeuten. Etwaige Instrumente sind entscheidend, um die Wärmewende sozialverträglich zu gestalten.
Wie geht man damit um?
Eine Anpassung aufgrund technologischer Entwicklungen ist weniger in Bezug auf disruptive Technologien wie etwa Kernfusion als vielmehr in Bezug auf den Ausbau von Fernwärme und gegebenenfalls die Ansiedlung neuer Gewerbe und damit einhergehender Abwärmepotenziale wie zum Beispiel Rechenzentren oder Elektrolyseure zu erwarten. Dies gilt ebenso für neue regulatorische Randbedingen und die damit verbundene Verfügbarkeit erneuerbarer Potenziale.
Ein guter Wärmeplan greift eventuelle Entwicklungen bereits auf und berücksichtigt mögliche Vorhaben im frühen Stadium. So kann das Risiko vermindert werden, dass ein Wärmeplan aufgrund veränderter Randbedingungen an Relevanz verliert.
Welche Schritte sind entscheidend, damit aus Strategien echte Projekte werden – und welche Rolle spielen Sie dabei?
An die Wärmeplanung knüpft sich meist eine weitere Planungsphase, zum Beispiel durch Transformationspläne und Machbarkeitsstudien für Wärmenetze, energetische Quartierskonzepte oder Informationskampagnen. Um Aktivitäten zu bündeln, hat es sich vielfach etabliert, das Medium der Lenkungsgruppe nach der Wärmeplanung aufrecht zu erhalten. Die Steuerung, Moderation und Bündelung der Arbeiten übersteigen jedoch häufig die Kapazitäten in den Kommunen. Aus diesem Grund werden wir nach Abschluss der Wärmeplanung regelmäßig für weiterführende Beratungsleistungen und als strategischer Partner für die Wärmewende angefragt. Dies gilt ebenso für die weiterführende Begleitung der zentralen Akteure in umsetzungsrelevanten Feldern. Hierzu zählen insbesondere Machbarkeitsstudien, Potenzialstudien, Quartierskonzepte, Planung und Umsetzung von Fernwärme oder strategische Beratung in Bezug auf Sanierungsthemen bis zum individuellen Sanierungsfahrplan.
Wo sehen Sie die kommunale Wärmeplanung in drei Jahren – was wird sich Ihrer Meinung nach als entscheidend für eine KWP herausgestellt haben?
In drei Jahren liegen in allen größeren Kommunen beschlossene Wärmepläne vor. Der Fokus wird sich von der Analyse zur Umsetzung verschieben, während der Engpass bei Detailplanung, Genehmigung, Tiefbau und Handwerk liegen wird. Entscheidend für eine erfolgreiche KWP wird die frühzeitige Weichenstellung sein. Weiterführende Planungsphasen wie BEW-Machbarkeitsstudien müssen angestoßen, Schlüsselflächen gesichert, Genehmigungsprozesse schnellstmöglich eingeleitet und planerische Kapazitäten gezielt ausgebaut werden. Ebenso wichtig wird eine verlässliche Finanzierung für zentrale wie dezentrale Lösungen sein sowie die zugängliche Bereitstellung von Informations- und konkreten Unterstützungsangeboten, also beispielsweise Fördermittelnavigator, Anlaufstellen für Handwerk und Energieberatung, damit dezentrale Investitionen nicht aufgeschoben werden. Ebenfalls ausschlaggebend ist die sektorenübergreifende Koordination: Tiefbaumaßnahmen für (Ab)Wasser, Glasfaser und Verkehr sind mit dem Fernwärmeausbau zu bündeln. Mit der Elektrifizierung der Wärmeerzeugung müssen Stromnetze ertüchtigt und die erneuerbare Stromerzeugung samt Speichern ausgebaut werden.
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