"Wenn viele im Umfeld Solaranlagen bauen, steckt das an"
Berit Müller arbeitet bei der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS), vorrangig im Bereich Bildung, Beratung, Projektentwicklung – insbesondere zu Solarenergie und integrierter Stadtentwicklung. Sie vermittelt zwischen Forschung, Zivilgesellschaft, Praxisakteuren und Politik – oft mit Fokus auf Kommunen, Energiegenossenschaften und Beteiligungsprojekte. Frau Müller, Sie haben vor rund 30 Jahren Energietechnik studiert – ein Bereich, in dem Frauen bis heute unterrepräsentiert sind. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Und was braucht es, damit mehr Frauen mitgestalten?
Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen: Es braucht mehr Männer, die auch mal zugeben, dass sie etwas gerade nicht wissen. Die nicht mit Überzeugung etwas Falsches sagen, sondern nachfragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Eine solche Besserwisser-Atmosphäre kann wirklich anstrengend sein.
Super hilfreich sind die Frauen um mich herum, die an ähnlichen Themen arbeiten. Noch viele Jahre nach dem Studium hatten wir unsere “Energiefrauen”-Treffen. Man kennt und man unterstützt sich. Ich hatte das Glück, dass um mich herum nicht so sehr mit der Ellenbogentaktik gearbeitet wurde, sondern mit dem Willen, die Transformation bestmöglich zu gestalten.
Sie arbeiten an der Schnittstelle von Technik, Gesellschaft und Praxis. Wie gelingt es Ihnen, z. B. mit Tools wie im Projekt “building-dialogue” komplexe Inhalte so zu übersetzen, dass sie zu handfestem Handeln führen?
Ob die Leute wirklich “handfest handeln”, müssen wir erst noch erheben. Wir haben erst dieses Frühjahr mit den Veranstaltungen für die Endverbraucher angefangen. Aber die Rückmeldungen zu unseren Messetouren bei der regionalen Baumesse waren durchweg positiv. Dabei geben wir zunächst mit passenden Messeständen und Ausstellerbeiträgen einen Überblick zur energetischen Sanierung der Gebäudehülle und der Anlagentechnik sowie zu unabhängiger Beratung und Fördermöglichkeiten. Und wenn die Leute dann konkrete Fragen zu ihrem eigenen Gebäude haben, stellen wir die Rechentools vor, mit denen sie sich selbst die Wirkung verschiedener Maßnahmen an ihrem Gebäude berechnen können.
Mein Ansatz ist dabei: Ich lasse die Teilnehmenden gleich zu Anfang zu Wort kommen. So erfahre ich, was sie an Informationen brauchen, was ich voraussetzen kann, was ich weglassen sollte und auch wie sie drauf sind. Ich stelle auch immer zwischendurch Fragen, keine Prüfungsfragen, sondern freundliche Nachfragen, um zu erkennen, ob etwas unklar geblieben ist. Ich versuche immer, eine Atmosphäre herzustellen, in der es sich gut anfühlt, Fragen zu stellen. Natürlich ist es notwendig, in der Thematik tief drin zu stecken. Da helfen meine verschiedenen beruflichen Aufgaben und natürlich auch meine privaten Bauprojekte. Besonderen Einblick in die aktuellen Innovationen habe ich durch meine Arbeit im Forschungsnetzwerk Energiewendebauen. Aber ich kann auch nicht alles beantworten – manchmal wissen es dann andere Teilnehmende oder wir überlegen gemeinsam.
Ganz wichtig: Ich mache mir vorab wirklich viele Gedanken um den roten Faden. Meine Mutter ist Lehrerin und das habe ich definitiv mitgenommen: akribische Vorbereitung und dann Flexibilität bei der Durchführung, damit man auf die Teilnehmenden eingehen kann.
Ihr Team war auf verschiedenen Baumessen präsent. Gibt es Pläne, das Format zu erweitern?
Ja, wir möchten das erfolgreiche Format der Messetouren in die Breite bringen. Dafür suchen wir noch Finanzierungsmöglichkeiten und auch Organisationen, die das Format auch anbieten können und möchten. Für Hinweise und Partnerschaften sind wir sehr dankbar!
Solarenergie gewinnt durch Kommunale Wärmeplanung, Solarpflichten und Förderprogramme zunehmend an Bedeutung. Wo sehen Sie in Ihrer Arbeit gute Ansätze, um Menschen für die Umsetzung zu gewinnen – auch dort, wo es zunächst Vorbehalte gibt?
Ich finde unter anderem folgende zwei Dinge entscheidend:
1. Der Mitmacheffekt: Wenn viele Menschen in meinem Umfeld Solaranlagen bauen und begeistert davon erzählen, dann ist das überzeugend. Deshalb: Anlagen in allen Größen initiieren und den Austausch dazu fördern. Das macht die AEE mit ihren Praxisbeispielen und Kongressen, wo sich Vertreter*innen von Kommunen und Regionen austauschen, ja schon lange super.
2. Sie sagen es ja schon in der Frage – Pflichten: Ja, manchmal braucht es auch verbindliche Vorgaben, damit auch Menschen mit Vorbehalten sich Gedanken machen müssen. Ergänzend sollte es dann gute, unabhängige Informationsangebote geben. Wenn nicht irgendwer die Anschnallpflicht durchgesetzt hätte, dann gäbe es wohl heute immer noch so viele Verkehrstote. Wenn wir die aus gutem Grund verbindlich gesetzten Klimaziele erreichen wollen, dann müssen wir dafür auch Pflichten formulieren. Ich kann nur die Schüler*innen einer Klasse bei der Diskussion von Umweltthemen zitieren: “Wenn es schädlich ist, warum ist es dann nicht verboten?”
Um jetzt noch den Bogen zu bekommen, wo ich die Möglichkeiten in meiner Arbeit sehe: beide Punkte haben sehr viel mit unserer Arbeit im Solarzentrum Berlin zu tun. Wir beraten und motivieren auf der einen Seite und bringen uns auf der anderen Seite beim Masterplan Solarcity mit Vorschlägen und Inputs zu Maßnahmen für die Erreichung der Ausbauziele für Solarenergie in Berlin ein.
Wie erleben Sie in Ihrer Arbeit mit Berliner Bezirken oder Brandenburger Kommunen den Stand der Solarenergienutzung – und wo sehen Sie wirksame Hebel, um die Solarpotenziale auf Dächern und in Quartieren besser zu aktivieren?
Ein paar Punkte, die mir besonders wichtig sind:
- Bestehende Pflichten auch wirklich durchsetzen
- Handwerk besser mitnehmen – Solarpflichten sollten als Chance, nicht als Last verstanden werden
- Firmen nicht kritisieren, die den Ausbau der Solarenergie wirklich groß angehen, sondern es selbst auch tun
- Netzbetreiber in die Pflicht nehmen: Sie müssen erreichbar sein, verpflichtet sein, schnell zu antworten und Beschwerdemöglichkeiten bieten, Austausch von Mitarbeiter*innen, die den Solarausbau ausbremsen
- Dächer und Fassaden nutzen
- Denkmalschutz nicht auf die Spitze treiben: Ich erlebe Fälle, bei denen aus unserer Sicht überzogene Auflagen die Umsetzung massiv verteuern – z. B. durch spezielle Modulfarben, die den Preis pro Watt um über 1,20 € steigern.
Solarstrom boomt – Solarthermie dagegen steht eher im Schatten. Ist das noch so und was braucht es, damit Solarwärme wieder stärker in kommunalen Strategien und Sanierungen mitgedacht wird?
Ich bin gespannt, was die Kommunalen Wärmeplanungen bringen. Freiflächen-Solarthermie mit Großspeichern ist eher im Kommen. Solarthermie ist effizient, wartungsarm und kann in Kombination mit Wärmenetzen oder Pufferspeichern eine stabile Lösung bieten.
Im urbanen Bereich sehe ich PVT (PV und Solarthermie in einem Modul kombiniert) als Lösung, die mitgedacht werden muss, um die wenigen Flächen optimal zu nutzen. Die Module können als Wärmequelle für Wärmepumpen dienen, einige Wärmepumpenhersteller gehen dazu auch schon Kooperationen mit PVT-Herstellern ein.
Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, ohne Solarthermieanlage zu wohnen.
In der vergangenen Woche fand die Intersolar in München statt, Europas größte Solarmesse. Auch Sie waren dort - was nehmen Sie konkret für Ihre Arbeit bei der DGS mit – und was könnte für Kommunen besonders interessant sein?
Für unser Projekt zu innovativer PV und Biodiversität habe ich gezielt nach Agri-, Floating- und Moor-PV geguckt – zu letzterem wurde ich nicht fündig. Bei Agri-PV hat mich insbesondere ein halbtransparentes Glas-Glas-Modul beeindruckt, das durch Verschiebung des Lichtspektrums vom UV- in den Blaubereich (und zukünftig auch vom Grün- in den Rotbereich), was für die Pflanzen die verwertbareren Lichtfarben sein sollen, einen Teil der durch die Zellen verringerten Einstrahlung kompensieren kann.
Ein Herzensthema von mir ist der zelluläre Ansatz: ein Energiesystem aus vielen lokalen, vernetzten „Energiezellen“, z. B. Quartiere oder Dörfer, die sich möglichst selbst mit Strom und Wärme versorgen – aber auch untereinander Energie austauschen können. Besonders wichtig finde ich die Schwarzstartfähigkeit dieser Zellen (Anm. d. Red.: Möglichkeit der Zellen, trotz fehlender externer Stromversorgung die Produktion von neuem Solarstrom netzunabhängig zu starten). Ich habe auf der Messe einige spannende Lösungen gesehen – z. B. eine Containerlösung mit 100 Kilowatt für den Inselbetrieb, Schwarzstart und Netzsynchronisation. In Zeiten wie diesen ein sehr aktuelles Thema.
Kommunen, die sich fragen „Wollen wir resilienter werden und Rückgrat des Stromsystems sein?“ dürfen sich gerne bei mir melden.
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