Sozial gerecht heizen - wie die Wärmewende alle mitnehmen kann
Wie gelingt die Wärmewende ohne soziale Härten, mit bezahlbaren Lösungen für alle? Dr. Julika Weiß vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) erklärt im Interview, warum sozialer Ausgleich, regionale Lösungen und Planungssicherheit entscheidend sind – und was aus dem Streit um das Gebäudeenergiegesetz gelernt werden kann. Als Leiterin des Forschungsfeldes „Nachhaltige Energiewirtschaft und Klimaschutz" beschäftigt sie sich mit der Frage, wie Klimaschutz im Wechselspiel von politischen Rahmenbedingungen und individuellem Verhalten gelingen kann.
Was ist überhaupt sozialverträgliche Wärmewende und warum sie so entscheidend für die gesellschaftliche Akzeptanz - besonders vor dem Hintergrund der hitzigen Debatten um das Gebäudeenergiegesetz (GEG) im Jahr 2023?
Bei der sozialverträglichen Wärmewende muss man zunächst klären, was damit überhaupt gemeint ist. Im Grunde geht es um mehrere Aspekte: Zum einen müssen die Energiekosten bezahlbar bleiben. Aktuell wird ein Großteil der Wärme in Deutschland mit fossilen Energieträgern erzeugt – vor allem mit Erdgas. Das bedeutet: Die Wärmekosten hängen derzeit stark von der Entwicklung der Gaspreise ab. Mit dem Umstieg auf Erneuerbare Energien wird perspektivisch vor allem der Strompreis eine größere Rolle spielen, insbesondere beim Umstieg auf Wärmepumpen. Auch der Ausbau der Fernwärme spielt eine wichtige Rolle. Der nächste Aspekt ist die Frage, wie viel Energie wir überhaupt verbrauchen. Da kommt dann die Energieeffizienz ins Spiel. Denn durch Sanierung und Effizienzmaßnahmen lassen sich die Energieverbräuche senken, was wiederum hilft, die Kosten zu reduzieren. Und dann gibt es noch die große Frage: Wer trägt eigentlich die Kosten - nicht nur für den Umstieg auf erneuerbare Wärmequellen, sondern auch für die energetische Sanierung? Und da haben wir im Grunde zwei Fälle, die wir unterscheiden müssen.
Welche sind das?
Das eine sind selbstnutzende Eigentümer*innen. Die können sich im Grunde entscheiden: Was mache ich mit meinem Haus? Wie bringe ich es in einen klimaneutralen Zustand? Wie viel Effizienz, wie viel Erneuerbare – und welche zukünftigen Energiekosten bin ich bereit zu tragen? Hier werden die Investitions- und Betriebskosten aus einer Hand getragen – das ist der einfachere Fall. Da ist dann auch die Sozialverträglichkeit relevant: Kann ich mir die Investitionen leisten – sowohl für den Umstieg als auch für die Sanierung? Selbst wenn es sich über 30 Jahre rechnet, fehlt vielleicht heute das Startkapital. Vielleicht bin ich nicht kreditwürdig oder will keine weiteren Kredite aufnehmen. Hier ist also die soziale Frage: Wie schaffen wir es, dass gerade Haushalte mit geringerem Einkommen – unter Einfamilienhausbesitzenden oder in Wohnungseigentümergemeinschaften – sich das leisten können? In der Summe ist das eine kleinere Gruppe, aber eine gesellschaftlich relevante. Und das ist eben die Gruppe, die bei den Debatten zum GEG viel Raum bekommen hat – obwohl sie aus meiner Sicht eher nicht die vulnerabelste ist. Denn das sind immerhin Menschen, die ein Gebäude besitzen oder vielleicht auch geerbt haben.
Und die zweite Gruppe?
Das sind Mietende. Bei ihnen hängt viel davon ab, was die Vermieter*innen machen: Wird saniert? Wird auf Erneuerbare umgestellt? Dann können die Investitionen über die Modernisierungsumlage auf die Miete umgelegt werden – die Kaltmiete steigt, und idealerweise sinken dafür die Heizkosten. Ob sich das rechnet, hängt stark vom Mietrecht ab. Häufig ist die Umlage heute höher als das, was ich an Energiekosten einspare. In vielen Fällen lohnt sich das vielleicht erst in 10 bis 20 Jahren – das hilft den heutigen Mietenden dann nicht sofort. Ein wichtiger Punkt ist die Förderung: Sie könnte die Umlage senken, wird aber oft nicht genutzt. Zudem kommt es darauf an, ob die Vermietenden die Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten korrekt herausrechnen – die machen bei Sanierungen rund 40 bis 70 Prozent der Gesamtkosten aus. Nur der verbleibende Anteil darf eigentlich umgelegt werden. Wird das nicht gemacht, zahlen Mietende zu viel.
Wie kann denn Beteiligung dann aussehen, gerade bei Mietenden? Also, wie kann man die denn einbeziehen in diese Prozesse?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn wir da noch einmal einen Schritt zurück gehen: Es gibt ganz verschiedene Eigentümer*innen-Typen. Das geht von privaten Personen, die ein Mehrfamilienhaus besitzen, über ganz große Wohnungsunternehmen, die privatwirtschaftlich Wohnungen überall in Deutschland haben, bis zu Genossenschaften und kommunale Wohnungsunternehmen. Und die haben sehr unterschiedliche Interessen, und die beteiligen Mietende unterschiedlich. Es gibt den Zustand, ich wohne als Vermieter*in selber im Gebäude, ich bin mit den Personen im Kontakt, ich rede mit denen – das kann eine sehr interaktive Situation sein - oder Genossenschaften, die vielleicht auch kleiner sind, wo es Mietendenbeiräte gibt, wo die Genoss*innen einfach so schon Mitsprachemöglichkeiten haben. Da gibt es natürlich eine ganz andere Beteiligung als in größeren Unternehmen. Mietende müssen gesetzlich beteiligt werden, indem sie mindestens informiert werden über das, was ansteht. Es können Modernisierungsvereinbarungen abgeschlossen werden oder Mieter*innenversammlungen einberufen, Mieter*innenberatungen eingerichtet werden. Das gibt es hier zum Teil in Berlin bei den kommunalen Wohnungsunternehmen, in den Mietschutzgebieten zum Beispiel. Es gibt also Möglichkeiten, wie man Mietende einbezieht. Wir beschäftigen uns gerade tatsächlich in einem Projekt mit der Frage, wie Sanierungen so gestaltet werden können, dass sie für die Vermietenden und Mietenden fair und tragbar sind und nicht nur eine Seite belastet wird.
Geht in dem Projekt um den Berliner Raum?
Da geht es nicht konkret nur um Berlin, das ist ein deutschlandweites Projekt. Auch in Berlin haben wir uns aber schon mit der Frage beschäftigt, in anderen Projekten, wie es mit Sanierungen aussieht, und in Berlin ist das, wie in anderen Großstädten auch, eine ganz besonders schwierige Situation, aufgrund des auch ansonsten sehr hohen Mietniveaus und der stark gestiegenen Mieten in den letzten Jahren. Natürlich ist jegliche zusätzliche Erhöhung der Kaltmieten besonders kritisch für vulnerable Gruppen, aber im Grunde in Berlin eigentlich für fast alle Gruppen, kann man fast schon sagen.
Was halten Sie vom Klimageld und wie ließe sich ein CO2-Preis sozial gerecht gestalten?
Letztendlich geht es um die Frage, wie ein Ausgleich geschaffen werden kann – gerade für diejenigen, die durch Klimaschutzmaßnahmen höhere Kosten tragen müssen, das aber finanziell kaum stemmen können. Das Klimageld verfolgt genau diesen Ansatz. Es geht nicht nur darum Mieten bezahlbar zu halten, sondern vor allem darum soziale Härten abzufedern. Die Idee dahinter: Wenn Klimaschutz uns alle etwas kostet, dann sollten diejenigen, die stärker belastet werden und das nicht gut tragen können, einen finanziellen Ausgleich erhalten. Das ist aus meiner Sicht ein sinnvoller Ansatz. Hinzu kommt: Viele der Klimageld-Ansätze sind so gestaltet, dass sie unterm Strich zu einer Umverteilung führen – zugunsten einkommensschwächerer Haushalte. Denn wer weniger verdient, hat auch meist niedrigere Energiekosten – etwa durch weniger Wohnfläche oder weniger Autofahrten. Das heißt, diese Haushalte würden häufig mehr vom Klimageld profitieren, als sie durch den CO2-Preis belastet würden.
In dem Zusammenhang spannend: Sie beschäftigen sich auch mit sogenannten Rebound-Effekten. Was genau ist damit gemeint?
Bei energetischen Sanierungen ist es oft so, dass der tatsächliche Energieverbrauch nach der Maßnahme höher ist als rechnerisch erwartet. Das kann zum Teil an Rechengrößen oder technischen Faktoren liegen – ein wesentlicher Punkt ist aber das Verhalten der Menschen im sanierten Gebäude. Wenn ich vorher in einem schlecht gedämmten Haus wohne, in dem es teuer ist, auf 23 Grad zu heizen, dann halte ich es vielleicht lieber bei 18 Grad aus, heize nur einzelne Räume oder ziehe mir einen Pullover über. Nach der Sanierung – wenn die Heizkosten spürbar sinken – fällt dieser „Sparzwang“ oft weg. Man gönnt sich mehr Komfort, heizt durchgehend oder in mehr Räumen. Das führt dazu, dass zwar weniger Energie verbraucht wird als vorher – aber nicht so viel weniger, wie theoretisch möglich wäre. Wir haben auch untersucht und herausgefunden, dass solche Effekte auch beim Umstieg auf Erneuerbare Energien auftreten können: Wenn etwa eine Solarthermieanlage installiert wird, denken manche, sie könnten jetzt bedenkenlos länger duschen. Das mag kurzfristig klimafreundlich sein, aber bei hohem Verbrauch oder in Kombination mit anderen Energiequellen steigen die Emissionen trotzdem – und die Einsparungen schrumpfen. Für Sanierungen heißt das, diese lohnt sich energetisch und finanziell zwar vielleicht noch – aber weniger stark als angenommen, wenn Rebound-Effekte eintreten.
Betrifft das alle gleichermaßen oder eher bestimmte Gruppen?
Ich kann das nicht mit Zahlen belegen, aber es gibt Hinweise – etwa aus älteren Studien aus Großbritannien, die zeigen: Gerade Menschen, die in Energiearmut leben, verhalten sich vor der Sanierung extrem sparsam – oft so sehr, dass es sogar gesundheitlich kritisch wird, etwa durch zu kalte oder feuchte Wohnungen. Nach einer Sanierung oder einer Entlastung bei den Energiekosten steigt dann ihr Energieverbrauch, weil sie sich das erste Mal ein gesundheitlich angemessenes Raumklima leisten können. Man spricht in der Forschung oft nur kritisch vom Reboundeffekt, aber in diesen Fällen könnte man fast von einem ‚positiven Rebound‘ sprechen. Denn er bedeutet, dass Menschen durch Effizienzmaßnahmen teilweise auch aus einer untragbaren Einschränkung herauskommen. Und: Der Rebound-Effekt betrifft tendenziell gerade die preissensibleren Haushalte stärker – also diejenigen, die sich vor Sanierung besonders einschränken mussten. Das ist also teilweise ein Phänomen, das zu mehr sozialer Gerechtigkeit beiträgt – und kann nicht pauschal nur als Effizienzverlust angesehen werden.
Gibt es technische Lösungen, die besonders zur sozialen Verträglichkeit der Wärmewende beitragen können? Oder ist das schwer vorherzusagen, weil vieles von zukünftigen Energiepreisen abhängt?
Das ist natürlich eine Frage, bei der man ein Stück weit in die Zukunft schauen muss. Vermeiden, lässt sich die Unsicherheit dabei nicht. Viel hängt tatsächlich davon ab, wie sich die Energiepreise entwickeln. Aktuell sind einige erneuerbare Energiequellen – vor allem lokal – noch teurer als beispielsweise das weiterhin recht günstige Erdgas. Die entscheidende Frage ist: Welche Energieformen sind langfristig robust und preisstabil – und welche werden voraussichtlich stark schwanken oder sogar dauerhaft teuer werden? Je nachdem sind bestimmte Technologien dann mehr oder weniger sozialverträglich. Aus meiner Sicht sieht es heute so aus, dass wir in Deutschland erneuerbaren Strom aus Wind und Photovoltaik vergleichsweise gut erzeugen können. Damit lassen sich nicht nur Wärmepumpen im dezentralen Bereich betreiben – die sich als bezahlbare Standardlösung abzeichnen –, sondern auch die Fernwärmenetze dekarbonisieren. Dazu kommen lokale Quellen wie Geothermie, Flusswasser oder Abwärme. Diese Technologien gelten aktuell als zukunftsfähig, weil sie auf lokale Ressourcen setzen, die langfristig verfügbar sind. Sie ermöglichen ein Energiesystem, das planbar und vergleichsweise resilient ist – und das ist letztlich auch eine Voraussetzung für soziale Verträglichkeit. Natürlich können sich in den nächsten Jahren noch neue Optionen ergeben, aber auf Basis des heutigen Wissens kann man sagen: Die Technik ist da, sie ist erprobt, und man kann mit einer gewissen Sicherheit abschätzen, welche Kosten damit verbunden sein werden. Klar ist aber auch: Klimaschutz wird nicht kostenlos sein. Doch kein Klimaschutz wird sehr wahrscheinlich deutlich teurer – wenn man die Kosten für Klimaanpassung und -folgen mit einrechnet. Insofern ist es auch aus sozialer Perspektive sinnvoll, auf robuste und langfristig bezahlbare Lösungen zu setzen.
Wenn sich mit einem Regierungswechsel politische Prioritäten verschieben – etwa bei Förderprogrammen oder rechtlichen Vorgaben –, stellt sich die Frage: Wie kann man die Wärmewende trotzdem langfristig absichern?
Ich glaube, momentan ist noch vieles offen, was die neue Regierung wirklich umsetzen will. Aber was man sagen kann: Alle Akteure im Gebäudebereich sind sich eigentlich einig, dass es vor allem Planungssicherheit braucht. Also: mittel- bis langfristig stabile Rahmenbedingungen, damit klar ist, was wann von Eigentümer*innen erwartet wird, welche Förderbedingungen gelten – und eben nicht ein ständiges Auf und Ab. Denn wenn Förderprogramme immer wieder angepasst werden – mal hoch, mal runter –, dann wird häufig abgewartet. Und dann wird manchmal auch da saniert, wo es gerade noch gar nicht sinnvoll ist, nur weil gerade gefördert wird.
Und wie lässt sich soziale Absicherung gewährleisten, wenn Fördermittel künftig vielleicht knapper ausfallen?
Dafür gibt es verschiedene Ansätze. Zum Beispiel sollte man Fördermittel so ausgestalten, dass die Kosten auch nicht auf die Miete umgelegt werden dürfen, wenn sie nicht in Anspruch genommen werden – so wie es beim sogenannten Drittelmodell vorgeschlagen wird. Das würde Vermietende motivieren, Sanierungen umzusetzen, ohne die Kosten direkt weiterzugeben. Gleichzeitig braucht es direkte Unterstützung für Haushalte mit geringem Einkommen – etwa über ein Klimageld oder ein erweitertes Wohngeld mit Klimakomponente. Und auch kommunale oder genossenschaftliche Wohnungsunternehmen gestalten ihre Mieten oft sozialverträglich, etwa durch interne Querfinanzierung. Die kommunale Wärmeplanung spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie kann helfen, vor Ort kosteneffiziente Lösungen zu entwickeln – etwa über Wärmenetze, lokale erneuerbare Wärmequellen oder Abwärme. Aber auch da gilt: Fernwärme ist nicht automatisch günstig – sie muss bewusst sozialverträglich gestaltet werden.
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