Grün oder blau: Wie erneuerbar wird der Wasserstoff?

Nachdem die Bundesregierung ihre Nationale Wasserstoffstrategie vorgestellt hat, zieht die Europäische Kommission im Rahmen des European Green Deals mit ihrer Wasserstoffstrategie nach. Die Reaktion auf beide Papiere sind durchwachsen – zu Recht, denn die Investitionen in die teils strittige und klimaunfreundliche Wasserstofftechnologie sind hoch. Eine Presseschau.

Wasserstoff macht derzeit weniger als zwei Prozent des europäischen Energiemix aus, so Kadri Simson, EU-Kommissarin für Energie, und Francesco La Camera, Generaldirektor der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) in einem Kommentar für EURACTIV. Für das Jahr 2050 erwarten sie, dass Wasserstoff zwischen 13 und 14 Prozent der Energieversorgung übernehmen kann. „Wasserstoff ist nicht die Antwort auf alle Fragen im Energiesystem der Zukunft, aber es kann die schwersten Fragen lösen“, bewerten Simson und La Camera.

shutterstock_wasserstoff_Alexander_Kirch_72dpiIm Zusammenhang mit Wasserstoff bekommen Farben eine besondere Bedeutung, weil sie anzeigen, aus welchen Energieträgern der Wasserstoff gewonnen wird. Eine gute Übersicht bietet Zeit Online mit der Darstellung der Farbenlehre des Wasserstoffs. Hier wird deutlich, dass „grauer“ Wasserstoff bisher über 90 Prozent des weltweit verbrauchten Wasserstoffs ausmacht und mit hohen Treibhausgasemissionen aus Erdgas hergestellt wird. „Grüner“ Wasserstoff wird hingegen gewonnen, indem Elektrolyseure Wasser mithilfe von Strom aus Erneuerbaren Energien in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff aufspalten. Abgesehen von dem energieaufwendigen Transport bietet der grüne Wasserstoff deswegen eine klimafreundliche Perspektive für die sonst schwer zu dekarbonisierende Industrie sowie den Verkehr. „Grüner Wasserstoff ist derzeit noch mehr als doppelt so teuer wie grauer Wasserstoff“, heißt es in der Farbenlehre der Zeit. „Experten gehen jedoch davon aus, dass sich der Preis durch verbesserte Technik, Massenproduktion und sinkende Strompreise bis 2050 mindestens halbieren wird.“ Außer grauem und grünem gibt es noch türkisen und blauen Wasserstoff, die ebenfalls aus Erdgas hergestellt werden. In beiden Verfahren entsteht jedoch kein CO2 oder gelangt nicht an die Erdoberfläche.

Blauer Wasserstoff in der Kritik

Ein Artikel des Handelsblatts stellt den Drei-Phasen-Plan der EU-Kommission vor: Zunächst sollen Elektrolyseure zur Herstellung von grünem Wasserstoff mit bis zu 100 Megawatt Leistung ausgebaut werden. Die bereits existierende Wasserstoffproduktion auf Erdgasbasis soll entsprechend aufgerüstet werden, um zukünftig das frei werdende CO2 mittels Carbon Capture Storage (CCS) zu speichern. In der zweiten Phase bis 2030 soll die Nutzung von Wasserstoff in der Industrie und im Verkehr ausgeweitet werden. Geplant sind „Hydrogen Valleys“ im Rahmen des European Hydrogen Valleys Partnership (EHV). Das EHV ist eine europäische Verbundorganisation, der aktuell mehr als 30 Regionen in 13 europäischen Ländern angehören. Viele Regionen verbinden gleiche Rahmenbedingungen und Ausgangslagen. Ein typisches Beispiel sind die Regionen rund um die Nordsee (Norddeutschland, Nord-Niederlande, Skandinavien und Schottland), die ähnliche Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Sektorenkopplung etwa von Überschusswind und Mobilität und Industrie haben. Die Kommission erhofft sich durch den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft bis 2030, 140.000 Arbeitsplätze zu schaffen, und schätzt das Marktvolumen auf bis zu 140 Milliarden Euro. Zwischen 2030 und 2050 soll sich Wasserstoff als wichtiger Bestandteil der Energieversorgung in Branchen etablieren, in denen die Dekarbonisierung mit Wasserstoff alternativlos ist.

„An vielen Stellen verfolgt die Wasserstoff-Strategie der EU ähnliche Ziele wie die Nationale Wasserstoffstrategie, die das Bundeskabinett Anfang Juni beschlossen hatte. An einigen Punkten geht die Kommission über das deutsche Konzept hinaus“, hebt das Handelsblatt hervor. Die Verwendung von blauem Wasserstoff auf Erdgasbasis in Kombination mit CCS-Anlagen „dürfte in Deutschland kaum auf Gegenliebe stoßen“.

Laut Kommentar des Bundesverbands Erneuerbare Energie e.V. (BEE) zur europäischen Wasserstoffstrategie ist das Argument, dass die Marktentwicklung die Förderung von blauem und grauen Wasserstoff nötig mache, bei dessen Produktion erhebliche Mengen an CO2 anfallen, nicht tragfähig. „Eine konsequente Herangehensweise muss den gesamten CO2-Fußabdruck von Wasserstoffprodukten berücksichtigen und erlaubt schon deshalb einzig die Förderung von grünem Wasserstoff“, so BEE-Präsidentin Dr. Simone Peter. „Es reicht allerdings nicht, die Bedeutung von grünem Wasserstoff nur zu betonen. Diese Bedeutung muss sich auch in ambitionierten Einsatzquoten in den verschiedenen Sektoren für grünen Wasserstoff widerspiegeln“, bemängelt Peter. Die Wasserstoff-Strategien müssten außerdem mit einem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien kombiniert werden.

Rockstar versus Realität

EU-Kommissionsvize Frans Timmermans bezeichnet Wasserstoff als „den Rockstar sauberer Energien“, berichtet die WirtschaftsWoche. Die Kommission gründete außerdem eine Wasserstoffallianz mit europäischen Unternehmen, „um die Strategie mit konkreten Projekten zu unterfüttern und privates Geld zu mobilisieren“. Die Wirtschaftsverbände reagierten auf die Strategie überwiegend positiv. Die öffentliche Unterstützung könnte aus mehreren EU-Töpfen kommen, auch Kapazitäten aus dem Corona-Wiederaufbauplan „Next Generation EU“, welches die Konjunktur mit 750 Millionen Euro ankurbeln soll, sind denkbar. Laut der WiWo rechnet die Kommission bis 2030 für den Bau von Elektrolyseanlagen mit Kosten von 24 bis 42 Milliarden Euro. Zusätzlich werden zum Ausbau von 80 bis 120 Gigawatt Sonnen- und Windenergieanlagen noch 220 bis 340 Milliarden Euro nötig.

Kritisch sehen Umweltverbände den Einfluss der Industrie und eine mögliche Förderung fossiler Brennstoffe wie Erdgas. „Die Wasserstoffallianz werde von Erdgasproduzenten dominiert, kritisierte das Climate Action Network in Brüssel“, welches die WiWo zitiert.
Der Environmental Defense Fund weist darauf hin, dass bei der „Übergangslösung“ — der Nutzung von Erdgas zur Wasserstoffproduktion — nicht nur CO2-Emmissionen ausgestoßen werden, sondern das Gas auch aus Methan besteht. Die EU-Kommission soll planmäßig im kommenden Herbst eine Strategie für den verringerten Ausstoß des Treibhausgases vorlegen. Nur mit geregelten Methan-Standards dürfte die Wasserstofftechnologie bezuschusst werden.

Handelsblatt-Autor Klaus Stratmann urteilt in einem Kommentar über die deutsche sowie die europäische Strategie: „Beide Papiere sind durchtränkt von Optimismus.“ Selbst bei einem rasanten Ausbau der Erneuerbaren Energien, wird der Strom nicht für die angestrebte Produktion des grünen Wasserstoffs ausreichen. Deswegen soll die Herstellung des grünen Wasserstoffs in Länder mit optimalen Bedingungen für die Erzeugung von erneuerbarem Strom verlegt werden. „Viele Länder, die aufgrund ihrer klimatischen und geografischen Gegebenheiten optimal geeignet wären, sind politisch instabil“, kritisiert Stratmann und sieht darin ein Hemmnis der groß angelegten Wasserstoffproduktion. „Die Länder hingegen, die für Investoren grundsätzlich in Betracht kommen, haben oft ganz andere Probleme. Sie müssen zunächst die eigene Bevölkerung mit Strom versorgen.“

Trotz des Hypes um Wasserstoff werden Gelder für bestehende EU-Klimaschutz- und Forschungsprogramme mit „Next Generation EU“ gekürzt. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass der „Fonds für einen gerechten Übergang“, welcher den europäischen Strukturwandel unterstützt, mit zehn Milliarden Euro nur ein Drittel des erwarteten Budgets erhält. Auch das Forschungsförderprogramm „Horizon Europe“ bekommt statt 13,5 Milliarden Euro lediglich fünf Milliarden Euro.

Sollte der Ausbau von Erneuerbaren Energien also nicht konsequent gefördert und vorangetrieben werden, werden selbst die niedrigsten Ziele für die Produktion von grünem Wasserstoff aus der EU nicht erfüllt.

Foto: Alexander Kirch/Shutterstock

Dieser Artikel wurde im Renews, dem Newsletter der Agentur für Erneuerbare Energien, veröffentlicht.

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