Energie-Kommune des Monats: Sankt Michaelisdonn

April 2010

Die Gemeinde Sankt Michaelisdonn in Dithmarschen, ältester Landkreis Deutschlands, erklärt ihre Unabhängigkeit. Schon heute produzieren Erneuerbare-Energien-Anlagen viermal mehr Strom als die Einwohner verbrauchen. 14 Windenergieanlagen produzieren mehr als 80 Prozent des Stroms in der 3650 Einwohner Gemeinde. Der Rest des Erneuerbaren-Energien-Stroms wird von einer Biogasanlage, die ausschließlich mit Grünabfällen betrieben wird und einer neun Hektar großen Freiflächen-Fotovoltaik-Anlage, erzeugt. „Deutschland ist zum hohen Maße abhängig von Öl, Gas, Kohle und Uran. Jedes Land sollte die Ressourcen nutzen, die es hat. Wir nutzen die Sonne, den Wind und die Bioenergie für die Energieproduktion“, so Bürgermeister Volker Nielsen.

Zukunftsvision: 2038 komplett energieautonom
Der ehrenamtliche Bürgermeister und seine Bürger haben sich viel vorgenommen. Bis zum Jahr 2038 soll die komplette Energieversorgung, also auch die Wärme- und Kraftstoffversorgung auf regenerative Energien umgestellt sein. Im Wärmebereich soll langfristig die Abwärme der schon bestehenden Biogasanlage und weiterer geplanter Biogasanlagen über ein Nahwärmenetz kostengünstig zum Bürger gebracht werden. Im Bereich der Kraftstoffe setzt die Gemeinde zukünftig auf Elektrofahrzeuge. „Die Elektroautos mit ihren Batterien können besonders nachts, wenn der Wind weht und der Verbrauch sehr niedrig ist, den überschüssigen Windstrom speichern. Tagsüber wird der gespeicherte Windstrom dann für den Antrieb in den Elektroautos genutzt“, schwärmt Nielsen. Er macht aber auch deutlich, dass es im Moment noch keine bezahlbaren Elektrofahrzeuge auf dem Markt gibt. Doch das wird sich hoffentlich bald ändern.

Vom Ausbau der Erneuerbaren Energien erhofft sich Bürgermeister Nielsen einen wirtschaftlichen Aufschwung für die Region. „Wir wollen mit den Erneuerbaren Energien einen geschlossen Kreislauf bilden und so die Wertschöpfung in der Region erhöhen. Von der Produktion, über den Handel bis zum Endverbrauch soll alles in den Händen der Bürger hier vor Ort liegen. Dafür eignen sich die Erneuerbaren Energien optimal“, so Nielsen. Denn rosig sieht es im Ort nicht aus: Die Arbeitslosenquote liegt bei zehn Prozent, die Kaufkraft bei 81 Prozent des Bundesdurchschnitts. „Momentan sind die Erneuerbaren Energien hier auf dem platten Land die einzige Möglichkeit sich als Gemeinde wirtschaftlich zu betätigen und finanzielle Spielräume zu erarbeiten“, betont Nielsen.

Gründung Gemeindewerk St. Michel und Rückkauf des Stromnetzes
Besonders wichtig ist den Schleswig-Holsteinern in Zukunft als lokaler Selbsterzeuger auch den Vertrieb des Stroms wieder in die kommunale Hand zu nehmen. Als ersten Schritt hat die Kommune daher per Gemeinderatsbeschluss das „Gemeindewerk St. Michel" im Jahr 2009 gegründet. Das Gemeindewerk übernimmt die Rolle des zentralen Organisators vor Ort und koordiniert die Bereitstellung der Anlagentechnik sowie die Erzeugung, Speicherung und Lagerung, den Vertrieb, Handel und Transport der Energie aus regenerativen Energiequellen. Auch sollen in Zukunft andere Kommunen beraten werden. „Wir wollen unsere Erfahrungen weitergeben und andere Gemeinden beraten. Wir haben schon mehrere Anfragen von anderen Gemeinden und empfangen regelmäßig Delegationen aus ganz Deutschland bei uns“, sagt Nielsen. Der nächste Schritt zu einer eigenständigen Stromversorgung und -verteilung ist die Übernahme des Stromnetzes. Dazu beabsichtigt die Gemeinde im Jahr 2011 das Stromnetz vom Netzbetreiber E.on Hanse zurückzukaufen. Über den Kaufpreis konnte der Bürgermeister noch keine Auskunft geben. Mit dem Rückkauf des Netzes soll den Bürgern langfristig ein faires und stabiles Preisniveau angeboten und eine nachhaltige Versorgung mit Energie aus 100 Prozent erneuerbaren Quellen sichergestellt werden. „Die großen Netzbetreiber sind als Aktiengesellschaft ihren Aktionären verpflichtet. Das bedeutet, dass über den jetzigen Netzbetrieb sehr viel Kaufkraft aus der Region fließt. Bei dem kommunalen Gemeindewerk bleiben die Gewinne zu 100 Prozent in der Region“, erklärt Nielsen. Von den Gewinnen des Gemeindewerks sollen Kindergartenplätze, die Straßenbeleuchtung und andere kommunale Ausgaben finanziert werden. Doch der Bürgermeister betont, dass er keine Feindbilder aufbauen möchte: „Es gibt in dieser Frage kein Gut oder Böse. In einer Aktiengesellschaft sind die Bedürfnisse anders. Die Gewinne kommen den Aktionären zu Gute, in einem kommunalen Unternehmen den Bürgern.“

Erstes kommunales Testfeld für TimberTower und Kleinwindanlagen weltweit
Die Windenergie spielt auch in Zukunft in der Gemeinde eine wichtige Rolle. Denn das Land zwischen den Meeren ist ein sehr günstiger Standort. Daher bietet die Gemeinde ein Testfeld für innovative Unternehmen aus der Windbranche an. Die Gemeinde hat kürzlich beschlossen, dass eine Weltneuheit, nämlich Holztürme für Windkraftanlagen der Multimegaklasse, auf dem eigenen kommunalen Testgelände getestet werden kann. Zusammen mit dem Unternehmen TimberTower aus Hannover, das als erstes Unternehmen weltweit Holztürme für Windkraftanlagen in Serie herstellt, werden verschiedenene Typen mit einer Nabenhöhe bis zu 100 Meter getestet. Einer der Geschäftsführer von TimberTower, Holger Giebel erklärt: „Wir arbeiten sehr gerne mit der Gemeinde Sankt Michaelisdonn zusammen, da sie im Bereich der Erneuerbaren Energien ein Vorreiter ist. Darüber hinaus können wir hier am Standort die Türme unter Offshore- und Onshore-Bedingungen testen.“ Die Nutzung von Holz statt Stahl und Beton hat gleich mehrere Vorteile. Zum einen wird für jeden Baum, der für einen Turm gefällt wird, ein neuer Baum gepflanzt. Die Produktion ist daher CO2-neutral. Zum anderen können dank eines Stecksystems Windkraftanlagen auch an Orten aufgestellt werden, die ein Schwertransporter mit einem 100 Meter langen Betonturm nicht erreichen kann. Ein Testgelände zur Erprobung von Kleinwindanlagen ist auf dem Klärwerksgelände ebenfalls vorgesehen. Die Infrastruktur steht bereits. Noch in diesem Jahr soll das Testfeld in Betrieb gehen. Der produzierte Strom aus den Kleinwindanlagen soll für das örtliche Klärwerk genutzt werden. In Sankt Michaelisdonn ist auch die Heimat des Kleinwindanlagenherstellers WES IBS GmbH, die sich mit ihrer Eigenentwicklung „WESpe“, derzeit in der Endphase der Erprobung befindet. Darauf angesprochen, ob die Bürger nichts gegen die vielen Windräder haben, die bald auf dem Testgelände montiert werden, erwidert Nielsen: „Die Bürger sind mehrheitlich einverstanden mit den Windkraftanlagen vor Ort. Wir liegen hier in einer Tiefebene und sind deshalb vom Klimawandel besonders betroffen. Daher ist die Akzeptanz sehr groß“.

Treibsel: Biomasse aus dem Meer
Die Region Dithmarschen wird im Volksmund auch als „Insel" bezeichnet, weil sie vollständig vom Wasser umgeben ist. Im Norden die Eider, im Süden die Elbe, im Westen die Nordsee und im Osten der Nord-Ostsee-Kanal. An der schleswig-holsteinischen Westküste fallen pro Jahr durchschnittlich 50.000 Kubikmeter Treibsel an. Das Treibsel besteht vor allem aus Schilf, Gras, Holz, Tang. Diese natürlichen Abfälle bleiben bisher an der Küste vollkommen ungenutzt. Doch die Nordlichter prüfen derzeit zusammen mit Fachleuten das Energiepotenzial von Treibsel und die Verarbeitungsmöglichkeiten durch Nass- oder Trockenfermentation. Damit betritt die Gemeinde Neuland, da bundesweit noch keine Erfahrungen vorliegen. „Besonders wichtig ist mir hier auch eine Kreislaufwirtschaft aufzubauen. Nicht nur wirtschaftliche Kreisläufe wollen wir schaffen, sondern auch Stoffkreisläufe ohne großes Verkehrsaufkommen. Dazu gehört auch, dass nach der energetischen Nutzung das Treibsel noch als hochwertiger Dünger von den hiesigen Landwirten genutzt werden kann. Besonders die Abstimmung mit unseren Bauern vor Ort ist für mich ganz wichtig, weil sie Akteure vor Ort sind“, betont Nielsen. „Außerdem müssen wir versuchen eine gute Balance zwischen Lebensmittelproduktion und Energieproduktion hinzubekommen. Daher sollten wir alle Reststoffe so weit es geht nutzen“, so Nielsen.