"Bevor man kommuniziert, muss man überlegen, wer was wissen muss, um was zu tun"

Dr. Mirjam Jenny ist Entscheidungsforscherin und Wissenschaftskommunikatorin. Sie arbeitet als wissenschaftliche Geschäftsführerin am Institute for Planetary Health Behaviour. Mit uns spricht sie darüber, wie eine wirksame Kommunikation von Klimaschutzmaßnahmen gelingen kann und was das mit Verhaltensforschung zu tun hat.

Mit den Debatten um das neue Heizungsgesetz kursieren seit einigen Monaten diverse Mythen in der Öffentlichkeit. Zum Beispiel, dass tadellos funktionierende Gasheizungen ausgetauscht werden müssen oder beim Einbau von Wärmepumpen eine Fußbodenheizung notwendig sei. Versagt hier das Fact-Checking? Wie kann man solche Klimaschutzmaßnahmen besser kommunizieren?

Dr. Mirjam Jenny: Ein Großteil der Kommunikation um das Gebäudeenergiegesetz ist politisch © Studio fotografa Berlinmotiviert. Viele der Mythen werden sicherlich bewusst platziert. Dies erschwert natürlich eine konstruktive Debatte. Bei der Entwicklung eines Gesetzes, das Privathaushalte direkt betrifft und daher viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt, hätte dringend parallel zur Entwicklung des Gesetzes auch eine Strategie für die Begleitkommunikation entwickelt werden müssen. Es ist sicherlich nicht einfach, sich alle potentiellen Mythen vorab auszudenken und die entsprechende Richtigstellung dazu präventiv zu entwickeln. Aber mindestens für die wichtigsten Eckpunkte sollten Kommunikationsmittel entwickelt werden, bevor die öffentliche Debatte losgeht. Denn es ist einfacher Falschinformation vorzubeugen, als sie im Nachhinein richtigzustellen. Das zeigen Studien zum sogenannten „Prebunking“.

Worum handelt es sich dabei?

„Prebunking“ ist eine proaktive Strategie zur Bekämpfung von Fehlinformationen. Hier werden Menschen einer geschwächten Form einer Fehlinformation ausgesetzt. Diese wird dann widerlegt, bevor die Menschen selbst auf die Fehlinformation stoßen. Das hat sich in verschiedenen Kontexten, einschließlich der Gesundheitskommunikation, als wirksam erwiesen (Kessler & Schmid, 2022). Hierfür sind Kampagnen, FAQs, etc. denkbar, die die Kernelemente der Gesetze und Maßnahmen in einfacher Sprache erklären.

Ist bei „Klima-Themen“ generell eine vorbeugende Kommunikationsstrategie notwendig?

Maßnahmen, die den Menschen direkt Geld kosten, müssen besonders gut kommuniziert werden. In der Planetary Health Action Survey unseres Institute for Planetary Health Behaviour zeigt sich, dass immer mehr Menschen den Eindruck haben, dass sie aufgrund von Klimaschutzmaßnahmen Geld verlieren. Aktuell geben circa 40 Prozent der Befragten an, durch Entscheidungen in Bezug auf die Klimakrise Geld verloren zu haben. Vor einem Jahr waren es noch knapp 30 Prozent. Diesem Eindruck müsste man entgegensteuern. Beispielsweise mit dem Klimageld, wobei man auch diese Maßnahme gut erklären muss, damit die Leute sie verstehen. Auch das sehen wir in unseren Studien. Es ist wichtig zu erklären, dass die Menschen das Klimageld erhalten würden, um ihre höheren Kosten, die durch den CO2-Preis entstehen, auszugleichen. Und dass hiervon Haushalte, die wenig CO2 ausstoßen, sogar finanziell profitieren könnten. Da Haushalte, die wenig CO2 ausstoßen, häufig ärmere Haushalte sind, kann das Klimageld zudem einen sozialen Ausgleich schaffen. Zusätzlich müsste man gut erklären, dass der CO2-Preis dazu dient, die Emissionen zu senken, dass es eben nicht darum geht, die Einnahmen des Staates zu erhöhen. Denn diese würden ja durch das Klimageld an die Bevölkerung zurückgezahlt. Vorbilder hierzu gibt es zum Beispiel in der Schweiz und in Österreich.

Im Rahmen des Projekts PACE, an dem Sie mitarbeiten, werden regelmäßig Wissen, Risikowahrnehmung, Vertrauen, Einstellungen und Verhalten der Gesellschaft in der Klimakrise ermittelt. Bekannt geworden ist diese Art der Datenerhebung – der Erhebung von Verhaltensdaten – während der Covid-19 Pandemie mit der COSMO Studie. Können wir aus dem Umgang mit Sars-CoV-2 etwas für den Umgang mit und über die Kommunikation zu klimaschützenden Maßnahmen lernen?

Hierzu habe ich bereits Beispiele wie das „Prebunking“ oder generell die proaktive strategische Kommunikation erwähnt. Ziel der Gesundheitskommunikation zu Corona-Zeiten war unter anderem, dass die Menschen ihr Verhalten ändern. Also beispielsweise Masken tragen. Um Verhalten zu verändern, müssen wir es erst verstehen. Dann müssen wir untersuchen, mit welchen Interventionen man Verhaltensänderungen unterstützen kann. Das gilt auch für die Klimakrise. Bevor man kommuniziert, muss man überlegen, wer was wissen muss, um was zu tun. Um dies zu verstehen, reichen die klassischen Gesundheitsdaten oder ökonomischen Daten nicht aus.

Wieso nicht?

Es braucht Daten zur Handlungsbereitschaft der Menschen, zur Gesundheitsförderung oder zum Klimaschutz. Die PACE Studie untersucht die Handlungsbereitschaft zum Klimaschutz und wie man diese erhöhen kann. Handlungsbereite Menschen verhalten sich klimafreundlich, unterstützen Klimaschutzmaßnahmen oder engagieren sich politisch für Klimaschutz. Diese Handlungsbereitschaft hängt von verschiedenen Faktoren ab. Vom Wissen, der Risikowahrnehmung, von sozialen Normen, dem Vertrauen in Institutionen, der geschätzten Maßnahmeneffektivität und der Selbstwirksamkeit. Wer also beispielsweise die Klimakrise als Gesundheitsrisiko wahrnimmt, ist eher handlungsbereit. Wer Klimaschutzmaßnahmen als wirksam einschätzt, unterstützt sie eher. Ähnliches galt auch in der Pandemie. Was viele in der Pandemie gelernt haben ist, dass wir dann gut kommunizieren, wenn wir das Verhalten der Menschen verstehen. Wobei eine gute Klimakommunikation natürlich nicht ausreicht. Klimaschutzmaßnahmen müssen vom Menschen her gedacht und konzipiert werden. Klimaschutz muss einfacher werden. Und die Maßnahmen brauchen eine proaktive Begleitkommunikation. Für all dies muss die Politik die Rahmenbedingungen schaffen. Auch das wünschen sich die Leute, die wir im Rahmen der PACE-Studie befragen. Dass die Regierung Strategien entwickelt, die klimafreundliches Verhalten einfach machen.

Interessant ist, dass Sie auch im Rahmen des Projekts PACE ermittelt haben, dass die meisten Menschen die Veränderungsbereitschaft der anderen zum Klimaschutz unterschätzen. Wie lässt sich das erklären und ist das ein Hindernis, das eigene Verhalten anzupassen?

Genau. Als wir die Studienteilnehmenden fragten, „Was glauben Sie, wie stark unterstützen die Menschen in Deutschland politische Klimaschutzmaßnahmen im Allgemeinen?“, dann gaben lediglich ca. 30 Prozent der Befragten an, dass die Menschen in Deutschland den Klimaschutz stark unterstützen. Wenn wir jedoch die Leute nach ihrer eigenen Unterstützung fragten, gaben knapp die Hälfte an, den Klimaschutz im Allgemeinen stark zu unterstützen. Die Bereitschaft anderer zum Klimaschutz wird also unterschätzt. Ähnliche Ergebnisse findet man in Studien in den USA (Sparkman et al., 2022). Eine andere umfassende Studie zeigt ein ähnliches Bild sogar in elf Ländern (Geiger et al., 2022).

Wie ist das zu erklären?

Über die Gründe muss ich an dieser Stelle spekulieren. Möglicherweise liegt es daran, dass die „Anti-Stimmen“ in der öffentlichen Debatte überrepräsentiert und lauter sind. Sie sind teilweise sicherlich auch besser vernetzt und kommunizieren strategisch. Daraus könnte der Eindruck entstehen, dass eher wenige den Klimaschutz unterstützen und viele ihn ablehnen. So entsteht vielleicht der Eindruck Klimaschutz sei ein „grünes Thema“. Letztendlich wird hier eine soziale Norm falsch wahrgenommen. Wir müssen davon ausgehen, dass dieses Klimaschutzverhalten vor allem auch den konstruktiven Dialog behindern kann – Negativspiralen können entstehen. Denn, wenn Menschen davon ausgehen, dass andere den Klimaschutz nicht richtig unterstützen, dann werden sie auch weniger über das Thema sprechen. Diesen Eindruck müssen wir korrigieren, damit die Mehrheit weiß, dass sie die Mehrheit ist. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Die soziale Norm richtig zu stellen, also die Einigkeit hinsichtlich des Klimaschutzes zu kommunizieren, scheint leider laut der Elf-Länder-Studie nicht wahnsinnig viel zu bringen. Sie kann allerdings schon dazu führen, dass die Leute mehr über Klimaschutz sprechen, woraus eine Positivspirale entstehen könnte. Wie bereits gesagt, brauchen wir in puncto Klimaschutz und Klimaschutzmaßnahmen bessere Kommunikation. Am besten hin zu einer gemeinsamen positiven Vision, wohin die Reise in die Zukunft gehen kann.

Referenzen

Kessler, S. H., & Schmid, P. (2022). Mis-and disinformation about COVID-19: challenges for health communication. European Journal of Health Communication, 3(2), I-VI.

Jenny, M. A., Lehrer, L., Eitze, S., Sprengholz, P., Korn, L., Shamsrizi, P., ... & Betsch, C. (2022). Accelerating climate protection by behavioural insights: the Planetary Health Action Survey (PACE). The Lancet Planetary Health, 6, S19.

Sparkman, G., Geiger, N., & Weber, E. U. (2022). Americans experience a false social reality by underestimating popular climate policy support by nearly half. Nature communications, 13(1), 4779.

Geiger, S. J., Köhler, J. K., Delabrida, Z. N. C., Garduño-Realivazquez, K. A., Haugestad, C. A. P., Imada, H., … White, M. P. (2023, October 2). What We Think Others Think About Climate Change: Generalizability of Pluralistic Ignorance Across 11 Countries. https://doi.org/10.31219/osf.io/gft8r

Kontakt:

Christin Weber
Agentur für Erneuerbare Energien
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