"Nur mit einem raschen und konsequenten Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare können wir unsere Wirtschaftssysteme auf Dauer stabilisieren."

Für diesen so entscheidenden Wandel sei auch eine größere Flexibilität in der Integration der Erneuerbaren beispielsweise in den Strommarkt notwendig, sagt naturstrom-Vorständin Sophia Eltrop im Interview des Monats. Neue Denkmuster in Wirtschaft und Politik, aber auch innovative Angebote wie variable Stromtarife sind hier unerlässlich. Die Veränderung muss global verabredet aber lokal umgesetzt werden. Denn lediglich, „wenn vor Ort die Chancen der Energiewende ergriffen werden, könne die Menschheitsherausforderung Klimaschutz gelingen.“

Frau Eltrop, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer neuen Arbeit als Vorständin bei naturstrom. Sie waren zuvor bei den Stadtwerken Potsdam als Sprecherin der Geschäftsführung aktiv und bis Mai 2021 zugleich als Geschäftsführerin der Tochtergesellschaft Potsdam Energie und Wasser GmbH. Worin unterscheidet sich die naturstrom AG am meisten von Ihren früheren Arbeitgebern?

Vielen Dank für die Gratulation, auch wenn ich inzwischen ja schon ein gutes Jahr diese tolle neue Position innehabe und mich bereits sehr verwurzelt im Unternehmen fühle. Besonders eindrücklich finde ich hier nach wie vor das einerseits sehr entspannte und freundschaftliche, andererseits aber auch sehr zielstrebige Umgehen miteinander. Es gibt einfach diese klare gemeinsame Mission der Energiewende, alle ziehen für eine nachhaltigere Energieversorgung an einem Strang.

Sie sind seit Oktober letzten Jahres bei der naturstrom AG. Was sind Ihre Hauptverantwortlichkeiten und persönlichen Ziele?

Ich bin als Teil des dreiköpfigen Vorstandes natürlich mitverantwortlich für die Gesamtsteuerung desFoto: naturstrom AG Unternehmens, direkt verantworte ich die Ressorts Finanzen, Personal und IT. Und in allen drei Bereichen gibt es aktuell große Herausforderungen: Angefangen vom stark wachsenden Investitionsbedarf für den beschleunigten Erneuerbaren-Ausbau in Zeiten hoher Zinsen über den Fachkräftemangel bis hin zu den Herausforderungen der IT-Security. Um es zusammenzufassen: Ich will bei und mit naturstrom dazu beitragen, die nächsten Schritte bei der Energiewende zu gehen.

Ganz besonders will ich aber einmal das Personalressort hervorheben und dabei nicht nur auf den viel diskutierten Fachkräftemangel, also die Anwerbung von neuem Personal, sondern den Wert der aktuellen Mitarbeiter:innen betonen. Jedes Unternehmen lebt von den Menschen, die es tragen. Und da haben wir bei naturstrom wirklich besonders engagierte Menschen. Hier eine entsprechende Wertschätzung im Arbeitsalltag und in den Rahmenbedingungen auszudrücken, ist mir ein besonderes Anliegen.

Sie sprachen zuletzt davon, dass etablierte Denkmuster in der Energiebelieferung nicht mehr funktionieren. Was genau meinen Sie und an welche neuen Ansätze denken Sie hinsichtlich der Zukunft trotz Brennstoffkrise?

Wir haben nicht nur unsere Energieversorgung, sondern einen Großteil unserer Wirtschaft auf der Verfügbarkeit billiger fossiler Brennstoffe aufgebaut. Dass das auf Dauer nicht gutgeht, war für mich und naturstrom schon lange klar. Die Brennstoffkrise hat nun auch in der Breite der Gesellschaft sehr deutlich gemacht, dass Erneuerbare Energien nicht nur ökologisch die bessere Variante sind, sondern auch ökonomisch. Bei allen problematischen Verwerfungen, die mit der Krise einhergingen und -gehen, ist diese neue Klarheit sehr zu begrüßen.

Allerdings sind die Lerneffekte teilweise nur begrenzt gewesen, auch wenn die Entspannung nach der Krise noch frisch und unsicher ist: Ölkonzerne wollen ihre Förderungen massiv ausweiten, Deutschland unterstützt neue Erdgasprojekte und -infrastrukturen und die internationale Staatengemeinschaft verpasst ein klares Bekenntnis zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Dabei hat die nur punktuelle Energiepreiskrise verdeutlicht, was für die größere und langwierigere Klimakrise ohnehin gilt: Nur mit einem raschen und konsequenten Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare Energien können wir unsere Wirtschaftssysteme und unsere Umwelt auf Dauer stabilisieren.

Seit November 2023 bietet naturstrom einen variablen Stromtarif an. Für viele klingt das bereits nach Zukunftsmusik. Wie kam es zu diesem neuen Angebot?

Wir haben schon in der Energiepreiskrise gemerkt, dass das Interesse von Verbraucher:innen an der Funktionsweise und den Entwicklungen des Strommarkts deutlich zugenommen hat. Gleichzeitig braucht es für die Systemintegration der Erneuerbaren Energien künftig auch mehr Flexibilität im Stromverbrauch. Dazu werden dynamische Tarife, die viertelstundengenau die Marktbalance zwischen Erzeugung und Verbrauch abbilden und die gerade bei Haushalten mit Wärmepumpen oder Elektroautos einen an die Erzeugungslage angepassten Verbrauch anreizen, ein wichtiger Baustein sein. Für die Nutzung solcher Angebote braucht es allerdings in der Regel Smart Meter, deren Rollout zum Glück nun wirklich Fahrt aufnimmt, die aber eben bislang noch kaum verbreitet sind.

Mit unserem neuen Tarifangebot naturstrom flex wollen wir zunächst einmal den vielen Haushalten, die noch keinen intelligenten Zähler haben, die Möglichkeit geben, Erfahrungen mit dem Auf und Ab am Strommarkt zu sammeln und von den oft günstigeren kurzfristigen Energieeinkäufen zu profitieren. Das Angebot setzt zunächst auf monatliche Durchschnittswerte sowie die bei uns üblichen kurzen Kündigungsfristen, so dass man damit weiterhin über uns als Versorger bei allen Preischancen und -risiken weiterhin relativ gut abgesichert ist. Da keinerlei technische Voraussetzungen bestehen, kann das für viele Verbraucher:innen ein erster kleiner Schritt in das kommende viel stärker flexibilisierte Energiesystem sein.

In unserer jährlichen Akzeptanzumfrage gaben 42 Prozent an, sich vorstellen zu können, ihren privaten Stromtarif zeitlich anzupassen. Wie groß ist bisher das Interesse bei Ihren Kunden?

Unser variabler Tarif ist nun erst seit wenigen Wochen auf dem Markt, da ist es noch viel zu früh für eine wirkliche erste Bilanz. Aber ich kann sagen, dass nicht nur das bisherige Interesse daran, sondern auch die Vertragsabschlüsse klar über unseren Erwartungen liegen. Es lässt sich also gut an.

Auf die Frage, welche Gründe bisher für die Befragten gegen einen variablen Stromtarif sprechen, waren „Ich möchte bzw. kann meinen Stromverbrauch nicht zeitlich anpassen“ und „Mir ist das Risiko von steigenden Kosten zu groß“ zwei der Antworten. Wie kann naturstrom hier helfen?

Der von uns angebotene Flex-Tarif ist hier ja genau ein Mittelweg, der auf diese Bedenken abzielt: Einerseits werden monatliche Durchschnittskosten weitergegeben, extreme Preissprünge einzelner Tage oder Stunden bleiben damit aus. Und falls der Strommarkt dennoch generell mal deutlich nach oben läuft, kann man relativ schnell wechseln, etwa in unsere sonstigen Tarife, die durch langfristigere Beschaffung der Energiemengen mehr Preisstabilität bieten. Gleichzeitig bietet ein monatlich wechselnder Preis natürlich nur wenig Anreiz zur kurzfristigen Verbrauchsänderung, das steht also hier nicht im Fokus – und dennoch kann man eben von den oft günstigeren Preisen an den Kurzfristmärkten profitieren und sich an kontinuierlich ändernde Strompreise herantasten.

Auf Dauer braucht es wie gesagt – zumindest für große, steuerbare Verbrauchseinrichtungen – noch deutlich kurzfristiger wechselnde Strompreise, also wirklich dynamische Tarife, die viertelstundenweise die Einspeisesituation der Erneuerbaren anzeigen. Auch ein solches Angebot haben wir in Vorbereitung.

Vergangene Woche (12.12.) endete die COP 28 in Dubai – mit dabei eine etwa 250 Personen umfassende Delegation aus Deutschland. Und der vom Kanzler initiierte Klimaclub startete im Rahmen der COP am 1. Dezember. Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach diese Veranstaltungen im Vergleich zur Arbeit und Unterstützung der Kommunen bei der Energiewende in Deutschland und anderen beispielsweise europäischen Ländern?

Da will ich gar keine Hierarchie aufstellen, es braucht unbedingt beides. Die Klimakrise ist ein globales Problem, dass wir auch nur in der Gemeinschaft aller Staaten in den Griff bekommen können. Daher ist das Übereinkommen von Paris auch weiterhin ein überragend wichtiges Dokument, auch wenn wir uns aktuell leider überhaupt nicht auf dem angestrebten 1,5-Grad-Pfad bewegen und die gerade zu Ende gegangene COP da leider auch immer noch zu wenig Aktion in die richtige Richtung gebracht hat. Dennoch: Nur, wenn wir überhaupt global miteinander sprechen, können wir zu dem notwendigen staatenübergreifenden Verständnis und dann auch zu entsprechenden Handlungen beim Klimaschutz kommen. Und durch die Klimaverhandlungen gibt es ja durchaus auch kontinuierlich gewisse Fortschritte, wenn auch eben noch in viel zu geringem Tempo.

Und damit komme ich auf die andere angesprochene Ebene, die Kommunen: Internationale Verabredungen oder nationale Ziele sind nichts wert, wenn sie nicht konkret vor Ort mit Leben gefüllt werden. Und dazu sind lokale Strukturen ganz entscheidend. Ob es die Kommune ist, die sich mit einer regenerativen Wärmeversorgung vor steigenden Fossilpreisen absichert, die Bürgerenergiegemeinschaft, die mit einem Windprojekt in der eigenen Gemeinde an einer sauberen, zukunftsfähigen Energieversorgung mitwirkt oder die Immobiliengesellschaft, die ihre Wohnungen mit günstigem Mieterstrom aufwertet: Nur, wenn vor Ort die Chancen der Energiewende ergriffen werden, kann die Menschheitsherausforderung Klimaschutz gelingen. Das Gute ist: Diese Chancen werden schon vielfach gesehen und auch genutzt, nicht nur hierzulande. Die Änderung der Denkmuster weg von fossilen und hin zur erneuerbaren Energieversorgung hat längst begonnen.

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