Energie-Kommune des Monats: Kempten

Oktober 2012

Die bayerische Stadt Kempten ist mit ihren rund 65.000 Einwohnern das wirtschaftliche Zentrum des Allgäus. Gerade deshalb setzt die Stadt bei der planerischen Entwicklung auf Erneuerbare Energien. „Seit 15 Jahren herrscht im Stadtrat über alle Parteien hinweg ein politischer Konsens“, beschreibt der ehemalige Oberbürgermeister Dr. Ulrich Netzer die Situation der Stadt. „Wir haben einen ganzheitlichen und nachhaltigen Ansatz. Dieser ermöglicht eine wirtschaftliche Prosperität, zeigt den jungen Menschen Perspektiven auf, berücksichtigt die demographische Entwicklung, baut die Schulden der Stadt bis 2020 komplett ab und begreift den Klimaschutz als positive Herausforderung.“

Erneuertes Wasserkraftwerk bringt doppelten Ertrag
Ein Sinnbild für die effiziente Nutzung der örtlichen Ressourcen ist das Wasserkraftwerk an der alten Spinnerei am Ufer der Iller. Das alte Kraftwerk aus den 1950ern wurde 2010 durch ein neues, hocheffizientes Laufwasserkraftwerk ersetzt, das jährlich etwa 10,5 Millionen Kilowattstunden Strom liefert und so die Versorgung von ungefähr 3.000 typischen Haushalten sicherstellt. Im Vergleich zum alten Kraftwerk wurde der Ertrag fast verdoppelt. Das neue Kraftwerk liefert aber nicht nur mehr Energie: es vermindert durch eine elastische Lagerung des gesamten Bauwerks die Schall- und Schwingungsübertragung. Mit einer ähnlichen Schall- und Schwingungsdämpfung wurde 2011 auch eine repowerte Turbine auf der anderen Seite der Iller ausgestattet. Sie ist in das unter Denkmalschutz stehende Gebäudeensemble der alten Spinnerei integriert. „Damit holen beide Kraftwerke mehr Energie aus dem Fluss und laufen trotzdem äußerst leise“, fasst der ehemalige Oberbürgermeister Dr. Netzer zusammen. „Das neue Kraftwerk ist eine gute Lösung für Anwohner und Umwelt.“

Eine Herausforderung bei der Planung des Kraftwerks war die Schaffung eines stimmigen Bildes zwischen Neubau und denkmalgeschützter Spinnerei. Diese Gradwanderung wurde erfolgreich gemeistert: Der weiße Betonbau schmiegt sich in das Tal der Iller und ergänzt das Industriedenkmal ohne dabei die eigene Modernität zu verleugnen. Dafür wurde die Architektur mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Und auch die Kemptener selbst sind von dem Gesamtkomplex so angetan, dass ein Teil der alten Spinnerei in Eigentumswohnungen umgebaut wurde. Für den ehemaligen Oberbürgermeister Dr. Netzer ist das Laufwasserkraftwerk ein Symbol der Energiewende: „Die Menschen identifizieren sich durch eine Architektur unserer Zeit mit den Anforderungen unserer Zeit.“

Solarpark in der Stadt
Um die eigenen Potenziale vollständig auszuschöpfen, versucht die Stadt neben der Wasserkraft auch die Nutzung der solaren Strahlungsenergie voranzubringen. Dabei setzt Kempten auf die Mobilisierung bürgerlichen Kapitals: „Wir haben sehr viele engagierte Bürgerinnen und Bürger in Kempten, die Solarenergie auf ihren Privatdächern nutzen“, erläutert Dr. Netzer. „Auf einer ehemaligen Mülldeponie steht seit 2011 ein Solarpark, der anteilig von einer Energiegenossenschaft betrieben wird. So können sich alle Kemptener beteiligen.“ Die Kombination aus GmbH & Co. KG als eigentlicher Betreiber des Solarparks und einer 35-prozentigen Beteiligung der Bürger-Energiegenossenschaft funktioniert reibungslos. Ein entscheidender Vorteil ist die Einbindung von größeren Investoren und den Haftungsvorteilen des genossenschaftlichen Modells für die beteiligten Bürger. So haftet jeder Bürger nur mit seiner eigenen Einlage und Unternehmen, wie etwa das Allgäuer Überlandwerk (AÜW), welches als örtlicher Energieversorger am Park beteiligt ist, können größere Summen investieren und ihr professionelles Knowhow einbringen.

Neben der Solarenergie wird auch die Bioenergie umfassend genutzt. Kempten setzt in der Hauptsache auf Biogas, welches in Blockheizkraftwerken verstromt wird. Die Abwärme wird teilweise in das Fernwärmenetz gespeist, welches in Kempten nahezu vollständig verfügbar ist. „Gerade in der Wärmeversorgung versuchen wir in Kempten unserer kommunalen Vorbildfunktion gerecht zu werden“, erklärt der ehemalige Oberbürgermeister Dr. Netzer. „Wir setzen dabei schon seit 1999 auf einen Energiemanager, der die CO2-Bilanz des kommunalen Gebäudebestands um 60 Prozent verbessert hat. Außerdem nutzen mehrere kommunale Gebäude Holzpelletheizungen, wie etwa unser Freizeitbad.“ 

Kommune setzt auf Zusammenarbeit mit Regionalen Planungsverband
Im 2011 vorgelegten Klimaschutzkonzept wurde deutlich, dass Kempten bereits einen Teil der städtischen Potenziale mobilisiert, der eigene Energieverbrauch der Stadt die Potenziale jedoch weit übertrifft. „Um die Energiewende in Kempten zu schaffen, müssen wir die Potenziale der umliegenden Landkreise berücksichtigen“, bestätigt Dr. Netzer. „Wir setzen dabei auf die Zusammenarbeit mit dem Regionalen Planungsverband Allgäu, dem wir angehören. So wird die Regionalplanung im Kapitel „Windenergie“ fortgeschrieben. Dabei ist unser Ziel, Vorranggebiete für Windkraftanlagen auszuweisen.“

Ein wichtiger Partner bei diesen regionalen Projekten ist das AÜW, an dem die unterschiedlichen Gemeinden im Allgäu beteiligt sind. Neben der Windenergie wird auch die Entwicklung von Pumpspeichern in der Region entscheidend sein, denn regionale Speicher für die fluktuativen Erneuerbaren Energien sind ein wichtiger Baustein. Aber nicht nur bei der Speicherung bringt sich das AÜW ein: gemeinsam mit der Fachhochschule Kempten und Siemens erprobt das AÜW in der Energie-Kommune Wildpoldsried ein intelligentes Stromnetz und hat unter dem Titel PEESA eine energiewirtschaftliche Studie für die Region vorgelegt. Die interkommunalen Bemühungen waren ein Grund für die Auswahl Kemptens, als eine von bundesweit 19 Kommunen und Landkreisen an dem Projekt „Masterplan 100% Klimaschutz bis 2050“ teilzunehmen. „In Kempten gehen wir die Energiewende mit Überzeugung und Augenmaß an“, meint Dr. Netzer. „Und ich denke, das ist ein großer Teil unseres Erfolgs.“

Seit dem 1. Mai 2014 ist Thomas Kiechle Oberbürgermeister der Stadt Kempten (Allgäu). Aktuelle Informationen zu den fortlaufenden Klimaschutz-Bemühungen in der größten Stadt im Allgäu gibt es online unter www.kempten.de/de/klimaschutz.php.