"Sachsen-Anhalt hat beste Voraussetzungen, durch Sektorenkopplung die Energiewende voranzubringen"

Portrait-Foto_Julia_Brandt_2018_72dpiFrau Brandt, Sie sind seit 2016 Präsidentin des Landesverbandes Erneuerbare Energie Sachsen-Anhalt e.V.. Welche Aufgaben übernimmt der Verein im Bundesland?

Der Landesverband Erneuerbare Energie Sachsen-Anhalt e.V. übernimmt in erster Linie die Vertretung politischer Interessen gegenüber der Landespolitik für die Branche der Erneuerbaren Energien in Sachsen-Anhalt. Wir konzentrieren uns hierbei hauptsächlich auf Formate, bei welchen die Kommunikation mit den politischen Entscheidungsträgern, vorwiegend auf Landesebene, im Vordergrund stehen. Unser Landesverband hat sich als eigenständiger Verein zur Vertretung der Belange der Erneuerbaren Energien bereits 2006 gegründet. 

Wie schaffen Sie es, trotz Corona-Krise die Bedeutung der Erneuerbaren Energien bei politischen Prozessen nicht aus den Augen zu verlieren bzw. zu verhindern, dass andere ihn aus den Augen verlieren?

Zugegebenermaßen ist es nicht so einfach, die politischen Prozesse während der Corona-Krise weiter zu begleiten. Aber ich denke, dies trifft für alle Themen zu. So haben wir unsere jährliche Veranstaltung, die Frühjahrstagung des LEE, welche seit über 10 Jahren unser Highlight ist, zwar absagen müssen, konnten jedoch das inhaltliche Programm unserer Tagung in einem Online-Format kurzfristig umsetzen. Das unsere Themen, die wir mit den Mitgliedern und auch den politischen Entscheidungsträger*innen regelmäßig diskutieren, von allen Seiten weiter bearbeitet werden wollen, lässt sich daran erkennen, dass wir auch in diesem ungewöhnlichen Format mit dem Staatssekretär unseres Umweltministeriums und auch energiepolitischen Sprecher*innen der Landtagsfraktionen im Gespräch bleiben konnten. Mit den Lockerungen, die in unserem Bundesland über die vergangenen Wochen beschlossen wurden, ist es nun auch wieder möglich, Hintergrundgespräche mit unseren Ansprechpartner*innen in der Politik zu führen und persönlich den Austausch zu suchen. Das machen wir natürlich auch. 

Wichtig in der jetzigen Zeit ist insbesondere auch der Austausch mit den Verbänden der Bundesebene. Wir haben regelmäßigen Austausch mit dem Bundesverband Erneuerbare Energie und den spezifischen Spartenverbänden um hier notwendige Themen zu adressieren und für unsere Arbeit auf Landesebene wichtige Argumente für die anstehenden Herausforderungen mit aufzugreifen und in den politischen Raum zu kommunizieren. 

Eine Herausforderung des Windenergieausbaus ist die teils fehlende Akzeptanz aus der Bevölkerung. Wie kann Ihrer Meinung nach die Akzeptanz gesteigert werden? Wie beurteilen Sie den Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, dass die Betreiber*innen eine Abgabe an die Kommunen zahlen sollen?

Grundsätzlich begrüße ich, dass die Bundespolitik nun Themen die bereits sehr lange auf dem Tisch liegen, abarbeiten möchte, damit die Energiewende auch gelingt. Auch ist es sehr erfreulich, dass Vorschläge, welche auch die Branche unterbreitet hat, sich in den Vorschlägen widerspiegeln. Allerdings sind noch nicht alle Aspekte berücksichtigt, die für Teilhabe und Wertschöpfung der Beteiligten vor Ort notwendig sind. Hier liegen die ausführlichen Vorschläge unserer Branche bereits seit langem auf dem Tisch und ein Verfahren zur Gesetzgebung sollte nun endlich starten. Anderenfalls wird der Einbruch, den wir insbesondere bei den Genehmigungen in den vergangenen Jahren erlebt haben, weiter gehen. 

Ich denke, dass mit dem Vorschlag des Bundesministers Altmaier noch nicht alles ausreichend beschrieben ist. Beispielsweise ist nicht klar, wie die Abgabe in sehr großflächigen Gemeinden, die wir in Sachsen-Anhalt ja durch die vergangenen Gemeindegebietsreformen haben, auch in den Gemeindeteilen ankommen, die von dem Windpark betroffen sind. Ich stelle mir das schwierig vor. Zusätzlich sollten Projekte, die bereits eine breite Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Kommunen vorsehen, nicht durch die gesetzlichen Vorgaben zusätzlich belastet werden – die bereits mit allen Beteiligten ausgehandelten Möglichkeiten, wie bspw. ein Bürgerwindrad oder die Förderung von Vereinen vor Ort, sollten anrechenbar sein. 

Auch der Vorschlag, die Bürgerinnen und Bürger über einen Bürgerstrom Tarif einzubinden, halte ich für sehr eingrenzend. Zum einen bieten einige Planerinnen und Planer dieses Modell schon an. Zum anderen ist es keine Form der direkten Beteiligung an erneuerbaren Energieprojekten. Letzten Endes ist es entscheidend, dass es mehrere Optionen gibt, wie man sich an Projekten beteiligen kann – sowohl für die Kommunen als auch die Bürgerinnen und Bürger. Aus Sicht unseres Landesverbandes ist es hierfür allerdings notwendig, dass die Voraussetzungen für die Beteiligung von Kommunen an Projekten der Erneuerbaren Erzeugung auch möglich sind. So hat Thüringen bspw. in seiner Kommunalordnung klar herausgestellt, dass Kommunen sich an der Erzeugung, Speicherung und Einspeisung erneuerbarer Energien beteiligen kann – in Sachsen-Anhalt ist dies leider derzeit nicht möglich. Das Kommunalverfassungsgesetz sollte hierfür geändert werden. 

Viele Erneuerbare-Energien-Anlagen fallen ab 2021 nach 20 Jahren aus der EEG-Förderung. Was muss für Betreiber*innen getan werden, damit sich der Weiterbetrieb oder Nachnutzungskonzepte wirtschaftlich lohnen?

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Aus meiner Sicht muss es eine Lösung geben, die den Weiterbetrieb von Altanlagen wirtschaftlich möglich macht. Momentan sehen wir ja, dass der Marktpreis an der Strombörse für einen Weiterbetrieb schwer ausreichen wird, da er in den vergangenen Monaten stark gesunken ist. Das sind leider keine guten Voraussetzungen für die Altanlagen. Alleine für Sachsen-Anhalt bedeutete dies einen Verlust von bis zu 2.000 Megawatt im Bereich der Windenergie bis 2025. Daher hat bspw. der BWE auf Bundesebene gefordert, dass es eine Zusatzvergütung von 2 ct./kWh auf den Marktpreis geben sollte. Verbunden mit einer Grenze, die diese Zusatzvergütung nur auslöst, wenn der Marktpreis unter 4 ct./kWh ist, ergäbe sich hier ein Ausgleich, der den wirtschaftlichen Weiterbetrieb ermöglicht. 

Darüber hinaus halte ich es für wichtig, dass für Repowering, also den Ersatz von Altanlagen, ausreichend Flächen zur Verfügung gestellt werden. Dies muss zeitnah realisiert werden, da sonst die Windenergieanlagen doch irgendwann technisch nicht weiterbetrieben werden können und so installierte Leistung verloren geht. 

Die Sektorenkopplung, die Verbindung des Strom-, Verkehrs- und Wärmesektors, gewinnt stetig an Bedeutung. Welchen Perspektiven kann sie in Sachsen-Anhalt bieten?

Sachsen-Anhalt hat beste Voraussetzungen, durch Sektorenkopplung die Energiewende voranzubringen. Da unser Bundesland sowohl ländlich geprägt als auch gerade im Süden vom Kohleausstieg betroffen ist, halte ich die Umsetzung von sektorengekoppelten Projekten für sehr wesentlich, da sie auch Perspektiven für neue und hochwertige Arbeitsplätze bieten. Hierbei muss im Vordergrund stehen, dass Unternehmen, die sich bereits lange in Sachsen-Anhalt engagieren und Kommunen, Unterstützung der Politik auf Landes- und Bundesebene erhalten. Aber auch neue Akteure, bspw. genossenschaftliche Ansätze müssen Berücksichtigung finden, auch um eine lokale Verankerung sektorengekoppelter Projekte zu gewährleisten. Ein Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Abbau rechtlicher Hemmnisse. Mir sind bspw. einige Projekte bekannt, bei denen die Planer und Projektierer, die zuvor klassisch Windenergieprojekte geplant hatten, intensiv damit beschäftigen, wie Windenergie gemeinsam mit anderen Erneuerbaren die Gesamtversorgung darstellen kann. Allerdings haben Windparks, die für solche Projekte geplant werden, keinen Vorteil – auch sie müssen in Gebieten liegen, die für die Windenergie ausgewiesen sind. Dies ist aber nicht immer der Fall. 

Hier muss die Landespolitik unterstützen, sowohl beratend, in dem sie Beteiligten Wege eröffnet, wie solche komplexen Projekte genehmigt werden können, als auch gesetzgeberisch: so haben wir unserem Umweltministerium und Wirtschaftsministerium vorgeschlagen, dass eine Sondergebietskulisse für erneuerbare Erzeugungsanlagen (in Analogie zur Ausweisung von Vorranggebieten für die Nutzung der Windenergie), die sektorengekoppelt mit anderen erneuerbaren Erzeugungsanlagen arbeiten sollen, ein geeignetes Instrument sein kann. Wie diese auszugestalten sind, sollte auch mit regionalen Planungsgemeinschaften und den betroffenen Kommunen erläutert werden. 

Welchen Blick haben Sie auf Fridays for Future, Ende Gelände und Extinction Rebellion? 

Mich persönlich hat es sehr beeindruckt, dass die junge Generation sich aufmacht, und sich organisiert um sich für eines der wichtigsten Themen einzusetzen – für mehr Klimaschutz und eine lebenswerte Welt. Das unterstütze ich sehr, auch weil insbesondere die Fridays-for-Future Bewegung zeigt, dass junge Menschen und mittlerweile auch Unterstützer*innen aller Altersklassen zeigen, dass man auch für etwas sein kann und nicht gegen etwas. Es ist sehr wichtig sich zu engagieren und vor allem sich mit den Themen inhaltlich auseinander zu setzen und für Öffentlichkeit zu sorgen. Auch das Engagement für den Kohleausstieg spielt dabei eine wesentliche Rolle. Langfristig erhoffe ich mir, dass sich viele junge Menschen auch über einen längeren Zeitraum für den Klimaschutz engagieren – sei es, dass sie im Studium oder danach einen Job in diesem Bereich annehmen oder sich hoffentlich auch kommunalpolitisch engagieren. Eine gute Politik für den Klimaschutz kann nur umgesetzt werden, wenn sich auch auf kommunaler Ebene viele Menschen für ein Mandat zur Wahl stellen, die Klimaschutz auch in der Kommune voranbringen möchten. 

Wer inspirierte Sie zu Ihrem Berufsweg und wie kam es zu Ihrem Interesse an den Erneuerbaren Energien?

Während meines Studiums des Wirtschaftsingenieurwesens an der Hochschule Harz hatte ich nicht sehr viel Berührungspunkte mit dem Bereich der Erneuerbaren Energien. Das lag jedoch auch daran, dass es zwischen 2004 und 2010 quasi noch keinen Studiengang mit diesem Schwerpunkt gab und die Basics, die wir über Sonnen- und Windenergie in der Vorlesung hatten, auf ein paar Seiten passten – das kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Nach Ende meines Studiums war dann im Vertrieb der Firma ENERCON in Magdeburg eine Stelle ausgeschrieben, wo ich mich bewarb und sehr glücklich war, einen solchen abwechslungsreichen Job anzutreten. Neben vielem technischen Know-How, was ich mir in der Einarbeitung angeeignet habe, habe ich mich gerade in den ersten Jahren viel mit der Chronologie des Erneuerbare-Energien Gesetz beschäftigt und bin auch über die Bücher von Hermann Scheer, einer der EEG-Pioniere, gestolpert. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass das EEG das Erfolgsinstrument der vergangenen 20 Jahre war um den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben und letzten Endes die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Klimaschutz mit Hilfe der Erneuerbaren Energien deutschlandweit möglich werden kann. Sich nun als Vertreterin eines Verbandes aktiv für bessere Bedingungen zu engagieren, ist für mich immer noch eine Auszeichnung. 

Wo möchten Sie die Erneuerbaren Energien im Jahr 2030 sehen und welche Rahmenbedingungen müssen dafür geschaffen werden?

Ich wünsche mir, dass wir 2030 mindestens die Klimaschutzziele, die die Bundesregierung festgelegt hat, erreichen. Dafür ist ein immenser Ausbau der Erneuerbaren, auch in Sachsen-Anhalt notwendig. Und das ist eine große Chance, auch für die wirtschaftliche Entwicklung – jedoch nur, wenn auch die Menschen vor Ort etwas davon haben. Hierfür müssen auch auf Landesebene Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren in Form von Zielen für installierte Leistung und dafür benötigte Fläche verbindlich festgeschrieben werden. Denn nur dann ist auch für alle ersichtlich, mit welchen Instrumenten ggf. nachgesteuert werden soll. Dafür brauchen wir die schon beschriebene Fortschreibung des Klima- und Energiekonzepts unter breiter Beteiligung und dann ein landeseigenes Klimaschutzgesetz. 

Auch die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, aber auch die Beschleunigung z.B. zur Ausweisung von Gebieten für die Windenergienutzung wird notwendig sein. Anderenfalls hinken die Voraussetzungen für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren den Notwendigkeiten hinterher und wir laufen förmlich in die bereits vielfach erwähnte Stromlücke rein. Dies darf der Politik nicht passieren, da es sonst den Eindruck erwecken wird, dass die Energiewende endgültig gescheitert sei. Vor dem Hintergrund der Auswirkungen auf die Klimaschutzziele wäre das eine Katastrophe. 

Fotos: 1. Julia Brandt / 2. AEE