"Die bestehenden Energiegesetze müssen fit gemacht werden für eine Energiewende 2.0"

Interview mit Simon Schäfer-Stradowsky, Geschäftsführer des IKEM und Mitglied im Fachbeirat des Forums Synergiewende, zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der Sektorenkopplung.

Warum brauchen wir die Sektorenkopplung für den Klimaschutz?

Deutschland hat sich vergleichsweise strenge Klimaziele gesetzt und galt lange Zeit als Vorbild beim Klimaschutz. Doch die Bundesregierung muss heute gestehen, dass die Klimaziele für 2020 nicht erreicht werden. Insbesondere im Verkehrs- und Wärmesektor spielen CO2-freie erneuerbare Energien kaum eine Rolle. Durch Sektorenkopplung entstehen hier große Kohlendioxid-Einsparpotenziale.

Gleichzeitig schafft Sektorenkopplung dringend benötigte Flexibilitäten im Stromsektor. Statt Windräder herunterzureglen, kann überschüssige Energie etwa genutzt werden um synthetische Kraftstoffe herzustellen. Hier arbeiten wir derzeit an einem interessanten Forschungsprojekt, KeroSYN100, das Fliegen klimaneutral machen soll.

Was ist die größte rechtliche Stellschraube, um die Sektorenkopplung voranzubringen?

Es braucht vor allem eine sektorübergreifende CO2-Bepreisung! So wird einerseits die Erzeugung von Erneuerbaren weiter angereizt, anderseits lassen sich die Kosten für diesen Ausbau fair auch auf die weiteren Sektoren verteilen. Wenn man dann den bestehenden Emmissionshandel stärkt und auf weitere Sektoren ausdehnt, sind wir mit vergleichsweise einfachen rechtlichen Stellschrauben ein ganzes Stück weiter. Dennoch dürfte diese einfache Antwort nicht genügen. Zusätzlich müssen sektorale Regelungen angepasst werden, um zu sinnvollen Sektorenkopplungsmärkten zu kommen. Hierfür könnte etwa die Nachfrage kurzfristig über Quotenverpflichtungen angereizt und das Angebot durch einen Abbau der stromseitigen Hemmnisse gestärkt werden.

Kann das bestehende Energierecht zugunsten der Sektorenkopplung angepasst werden oder braucht es eine radikale Reform?

Eine radikale Reform braucht es nicht. Die bestehenden Gesetze rund um das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) müssen aber fit gemacht werden für eine Energiewende 2.0. Trotz aller Herausforderungen, die in den rund 20 Jahren seit Bestehen des EEG auftraten, hat das Gesetz etwas Großes geleistet: Es spiegelt den gesellschaftlichen Konsens und Willen wider, unser Energiesystem künftig erneuerbar zu gestalten. Etwas Ähnliches brauchen wir heute für die Sektorenkopplung. Wichtig ist, regulatorische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Auch sollten die Erfahrungen, die wir in den Reallaboren deutschlandweit sammeln, in das Gesetz einbezogen werden. Dazu braucht es fortschrittliche Experimentierklauseln.

Gibt es regional unterschiedliche Chancen und Herausforderungen bei der Sektorenkopplung? Lassen sich diese verschiedenen Ansätze in einem Gesamtkonzept zusammenführen oder braucht es regional angepasste Strategien?

Es braucht eine Gesamtstrategie, die regionale Standortvorteile nutzt. Vorbild ist die europäische Integration: Unter europäischer Koordinierung werden regionale Eigenheiten berücksichtigt. So ist es bei weiterem starken Zubau sicherlich sinnvoll Windstrom dort zu veredeln, wo er erzeugt wird. Das betrifft insbesondere überschüssige (Wind-) Energie, die viel zu häufig abgeregelt wird und so verloren geht.

Wie können Sie sich in ein Netzwerk zur Sektorenkopplung einbringen?

Das IKEM treibt die Sektorenkopplung in Deutschland voran. In mehreren Forschungsprojekten und Reallaboren unterstützen wir starke Partner bei der Erprobung einer ganzheitlichen Energiewende, etwa durch Erzeugung von synthetischem Kerosin aus Windenergie. Unsere Erfahrungen spielen wir über unser breites Netzwerk an unsere Partner zurück. Dazu gehört etwa die Plattform „Lokale Energie“. Hervorzuheben ist zudem das Kopernikus-Projekt „ENavi“. Hier arbeiten wir interdisziplinär an einer Integration und Interaktion der verschiedenen Sektoren. Unser Fokus liegt insbesondere darauf, praxistaugliche Ergebnisse zu erzielen und hieraus regulatorische Ableitungen zu treffen um den Rechtsrahmen für die Energiewende gestalten zu können.

Kontaktdaten
Simon Schäfer-Stradowsky
Geschäftsführer
IKEM – Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
simon.schaefer-stradowsky@ikem.de
Tel.: 0049 (0)30 408 18 70 21
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