Energieversorger stehen vor Investitionen in Millionenhöhe

„Die Energieversorger spielen als lokale Kompetenzträger eine wichtige Rolle in der kommunalen Wärmeplanung und in der integrierten Infrastrukturplanung“, sagt Sarah Roes Partnerin bei BET Energie, einem Beratungsunternehmen der Energie- und Wasserwirtschaft. Diese verfügen über das wichtigste Kapital: den Kontakt zu den Kund*innen und müssten vor Fehlinvestitionen geschützt werden.

Frau Roes, Sie sind Partnerin bei BET im Bereich Handel & Vertrieb. Zuvor waren Sie unter anderem bei RWE und Rheinenergie tätig. Warum der Wechsel vom Energieversorger zum Beratungsunternehmen?

Ich hatte das große Glück, die Chance zu bekommen, als Partnerin bei BET einzusteigen. Ich habe mir Sarah Roes (Foto: BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH)im Vorfeld viele Gedanken darüber gemacht, ob Beratung das „richtige“ für mich ist, da ich bereits über 15 Jahre operativ in der Energiewirtschaft gearbeitet habe. Rückblickend kann ich sagen, dass es die absolut richtige Entscheidung war, den Wechsel in die Beratung zu wagen. In meiner Funktion gehört neben der beratenden Tätigkeit auch die Aus- und Weiterbildung vieler junger Menschen dazu und das begeistert mich jeden Tag aufs Neue. Aber auch meine Erfahrungen - sowohl die positiven als auch die negativen - aus der operativen Tätigkeit kann ich immer wieder in die Beratung einbringen und so viele Unternehmen bei den unterschiedlichsten Herausforderungen unterstützen und mit ihnen gemeinsam Lösungen erarbeiten. Es macht mir Spaß, mich immer wieder in neue Ausgangssituationen hineinzudenken, die Zukunft ein Stück weit vorwegzunehmen und proaktiv gestalten zu können. Das klingt trivial, ist es aber oft nicht. ????

Wie beurteilen Sie die Bedeutung der nun im GEG angesetzten Kommunalen Wärmeplanung bis 2028 für die Energieversorger?

Die Bedeutung der kommunalen Wärmeplanung ist nicht zu unterschätzen. Die Vorteile sind vielfältig. Denn die kommunale Wärmeplanung ermöglicht eine detaillierte Potenzialanalyse und Bestandsaufnahme, die ein wichtige Bausteine auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung sind. Ich denke, wir sind uns einig, wenn ich sage, dass kaum ein geplantes Gesetz in der Vorbereitung so heftig diskutiert wurde wie das Gebäudeenergiegesetz (GEG). In meinem Beratungsbereich der innovativen Geschäftsmodellentwicklung zur Geschäftsausweitung in Richtung energienaher Dienstleistungen wird die kommunale Wärmeplanung immer mitdiskutiert. Auch hier ist es wichtig, frühzeitig die Weichen zu stellen, um die Vertriebe zielgerichtet und profitabel aufsetzen zu können. Im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung müssen verschiedene Fachbereiche eng zusammenarbeiten, damit die Umsetzung gelingen kann.

Die Energieversorger erfüllen auf kommunaler Ebene eine wichtige Funktion, da sie einerseits die Energieversorgung sicherstellen und anderseits den Kommunen Einnahmen verschaffen. Gleichzeitig bedroht aber die notwendige Transformation zur Klimaneutralität etablierte Geschäftsfelder der Energieversorger und erhöht zudem die Komplexität. Unser Appell an dieser Stelle ist immer, dass es wichtiger denn je ist, akteursübergreifend zu planen und zu handeln, um die Transformation rechtzeitig zu erreichen. Denn eines dürfen wir nicht vergessen: Die Energieversorger spielen als lokale Kompetenzträger eine wichtige Rolle in der kommunalen Wärmeplanung und in der integrierten Infrastrukturplanung. Sie verfügen über das wichtigste Kapital: den Kontakt zu den Kund*innen. Und diese müssen vor Fehlinvestitionen geschützt werden.

In der aktuellen Studie „EVU 2030 Die wirtschaftliche Perspektive“ zeigt BET auf, dass die Energieversorger zukünftig mit sinkenden Gewinnen rechnen müssen und entsprechend weniger an die Gesellschaft ausschütten können. Woran liegt das?

Die kurze Antwort darauf: An steigenden Investitionen zur Erreichung der Klimaschutzziele, bei gleichzeitig steigender Komplexität und dem Aufbau weiteren Personals zur Ausweitung des Produktportfolios, damit die wegfallenden Ergebnisbeträge kompensiert werden können.

Die ausführlichere Antwort: In der Studie „EVU 2030 – die wirtschaftliche Perspektive“ haben wir einen repräsentativen Regionalversorger betrachtet. Sicherlich können nicht alle Zahlen exakt auf jedes Energieversorgungsunternehmen übertragen werden. Generell ist aber davon auszugehen, dass in den kommenden Jahren ein hoher Investitionsbedarf zu erwarten ist. Insbesondere beim notwendigen Ausbau der Netzinfrastruktur. Die Stromnetze müssen für die Integration weiterer Wärmepumpen und steigender Elektromobilität aufgerüstet werden. Bei den Gasnetzen sind hingegen Instandhaltungsinvestitionen erforderlich - auch wenn diese nur einen kleinen Teil der Investitionen ausmachen, sind sie dennoch vorhanden. In der Wärmeversorgung werden in den kommenden Jahren Verdichtungen und Erweiterungen des Netzes vorgenommen. Dies bedeutet gleichzeitig auch höhere Abnahmemengen sowie die Steigerung des Marktanteils. Gleichzeitig ist eine Umstellung auf grüne Erzeugungstechnologien erforderlich. Der Ausbau der Wärmeversorgung wird zwar durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gefördert, dennoch muss hier jeder Energieversorger zusätzlich eigene finanzielle Mittel aufwenden. In Summe unterstellen wir bis zum Jahr 2030 ein konservativ geschätztes Investitionsvolumen von etwa 53,5 Millionen Euro. Und dies ist eine wahnsinnig große Summe, die erst einmal durch neue Geschäftsfelder in Teilen kompensiert werden muss.

Ihre Studie empfiehlt daher, neue Geschäftsfelder zu entwickeln. Welche sind Ihrer Meinung nach für die meisten die Vielversprechendsten?

Es gibt nicht DAS Produktportfolio, das jeder Energieversorger 1:1 umsetzen kann. Wichtig sind die jeweilige Ausgangssituation, das Zielkundensegment und die regionalen Gegebenheiten. Grundsätzlich empfehlen wir aber, die Produkte rund um Elektromobilität, Photovoltaikanlagen mit und ohne Batteriespeicher sowie die Wärmepumpe näher zu betrachten. Die Ausgestaltung des Produktportfolios kann sehr unterschiedlich sein. Sie reicht vom Kauf über Contracting bis hin zu Service-, Betriebs- und Instandhaltungsdienstleistungen. Wichtig ist, dass ein Energieversorger die Produkte auf Basis der Kundenbedürfnisse entwickelt und das Portfolio im besten Fall modular aufbaut. Hier verweise ich auch gerne auf unser Whitepaper „Vertrieb der Zukunft“.

Die Studie rechnet neben dem hohen Investitionsbedarf in den klassischen Geschäftsfeldern von 53,5 Millionen Euro mit einem weiteren Investitionsvolumen in Höhe von 19 Millionen Euro bis 2030 allein durch die Erschließung der neuen Geschäftsfelder. Ist das eine konservative Rechnung?

Wie zuvor erwähnt, haben wir die Studie auf der Basis eines Muster-EVU aufgebaut und sicherlich an der einen oder anderen Stelle konservativ gerechnet und Annahmen getroffen. Dies bestätigen erste Gespräche mit Energieversorgungsunternehmen: Sie rechnen aktuell mit deutlich höheren Investitionen.

Wie können die Energieversorger diese Investitionen tragen?

Das ist eine sehr gute Frage, die sich wohl derzeit einige Energieversorger stellen.

Die Ausschüttungsfähigkeit wird enorm zurückgehen. Kaum ein Energieversorger wird in den nächsten Jahren in der Lage sein, die bisher gewohnten Ausschüttungen an die Gesellschafter vornehmen zu können. Eine Option wäre, die Gewinne zu thesaurieren. Alternativ muss externes Kapital zugeführt werden. Hier besteht für die Energieversorger neben der Ausschüttung auch die Möglichkeit der Fremdkapitalfinanzierung. Allerdings ist das Zinsniveau auch in diesem Jahr stark angestiegen, was zu weiteren Ergebnisbelastungen führen kann.

Gibt es ein internationales Beispiel, das zeigt, wie gut die Erschließung neuer Geschäftsfelder Energieversorger beim Bestehen helfen kann?

Aus meiner Sicht ist das Unternehmen Octopus Energy ein sehr gutes Beispiel dafür, dass neue Geschäftsfelder als Wachstumsmotor neben den klassischen Geschäftsfeldern helfen können. Allerdings ist Octopus Energy nicht eins zu eins mit unserem Muster-EVU zu vergleichen, das möchte ich ausdrücklich betonen, denn unser Muster-EVU repräsentiert einen klassischen regional ansässigen Energieversorger und das ist Octopus Energy nicht. Octopus Energy ist ein britisches Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien, das 2015 gegründet wurde. Gestartet als Energielieferant haben sie sich 2019 die Ausweitung des Geschäftsfeldes der energienahen Dienstleistungen auf die Agenda geschrieben und sind bisher erfolgreich auf Kurs. Ein sehr ambitioniertes, aber nicht unrealistisches Ziel haben sie sich insbesondere im Bereich des Vertriebs von Wärmepumpen gesetzt: Wärmepumpen auch in Deutschland zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten zu können. Um dieses Ziel erreichen zu können, hat Octopus in Slough ein F&E- und Schulungszentrum aufgebaut. Dort werden jährlich rund 1.000 Wärmepumpeningenieure ausgebildet und neue Heizungssysteme entwickelt.

Kurzum, ein internationales Beispiel, das sicherlich vorrangig auf ein anorganisches Wachstum setzt und gute Investoren braucht, die an dieses Geschäftsfeld glauben.

Neben den Erneuerbaren Energien bezeichnen Sie auch die Digitalisierung als disruptiven Megatrend. Ein Trend, der schon seit einigen Jahren anhält … in einigen Bereichen wie der Bildung oder der Verwaltung wird oft kritisiert, dass dies bisher zu wenig umgesetzt wurde. Wie sieht es bei den Energieversorgern aus?

Ein abendfüllendes, aber auch spannendes Thema. Die Digitalisierung – ein Schlagwort, das in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Ich denke, viele Energieversorgungsunternehmen haben die Wichtigkeit der Digitalisierung erkannt und sich bereits auf den Weg gemacht. Dennoch ist dieser Weg holprig und langwierig. Es gibt verschiedene Faktoren, die das Vorantreiben der Digitalisierung erschweren, wie z. B. Overhead-Kosten, Fachkräftemangel, volatiler Energiemarkt, zunehmende Komplexität etc. Unser Eindruck ist, dass ein Teil der Energieversorgungsunternehmen bereits eine grobe Digitalisierungsstrategie aufgestellt, aber noch kein Zielbild entwickelt hat. Sie sehen, es ist noch viel zu tun, auch und gerade in den Energieversorgungsunternehmen.

Kontakt:

Anika Schwalbe
Pressesprecherin
Tel.: 030 / 200 535 52
a.schwalbe@unendlich-viel-energie.de