Energie-Kommune des Monats: Wunsiedel

Juni 2016

Wunsiedel ist die Kreisstadt des oberfränkischen Landkreises Wunsiedel im Fichtelgebirge. Während Literaturliebhaber bei dem Ortsnamen an den Autor Jean Paul denken, der hier 1763 geboren wurde, und Theaterfreunde von den alljährlichen Luisenburg-Festspiele schwärmen, führen Energieexperten die Stadt immer wieder als Beispiel für den vorbildlichen Ausbau Erneuerbarer Energien an. Denn schon seit 2001 geht die Kommune vor allem mit Hilfe des hiesigen Stadtwerks konsequent den Weg einer regionalen und klimaverträglichen Energieversorgung. Mit großem Erfolg: Die Stadt hat ihre für das Jahr 2020 gesetzten Klimaschutzziele bereits 2016 erreicht. Nun wird hier rein bilanziell 20 Prozent mehr Strom aus regenerativen Quellen produziert als verbraucht. Auch für einen Großteil des städtischen Wärmebedarfs sorgen Erneuerbare Energien. Die Treibhausgasemissionen habe sich im Vergleich zum Basisjahr 2008 um die Hälfte reduziert.

Erneuerbare Energien in Wunsiedel

Die Wunsiedler haben seit 2001 konsequent Erzeugungskapazitäten auf Basis Erneuerbarer Energien aufgebaut: Von den etwa 90 Millionen Kilowattstunden Strom im lokalen Stromnetz stammen bereits zwei Drittel aus lokalen Erneuerbare-Energien-Anlagen v.a. auf der Basis von Wind-, Sonnen- und Bioenergie.

Photovoltaik in Wunsiedel

Den Anfang machte 2004 eine Photovoltaikanlage auf dem Dach des Technikhofes der Stadtwerke, an der sich auch die Bürger*innen beteiligen konnten. Mit einer Leistung von 81 kWp erzeugt sie rund 70.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr und reduziert somit die Treibhausgasemissionen jährlich um ca. 65 Tonnen Kohlendioxid. Insgesamt erzeugen im Netzgebiet der SWW Wunsiedel GmbH schon 340 Solaranlagen auf Privat- und Gewerbegebäuden Strom, 20 davon betreiben die Stadtwerke. 2014 wurde zudem eine Photovoltaik-Freiflächenanlage auf dem Gelände der ehemaligen Porzellanfabrik Retsch gebaut. Die Solarzellen bedecken eine Fläche von 7.000 Quadratmetern und bestehen aus über 2.000 Modulen. Sie produzieren bis zu 550.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr und können etwa 170 Vier-Personen-Haushalte mit Strom versorgen und somit jährlich 325 Tonnen Kohlendioxid einsparen.

Windkraft in Wunsiedel

Vor Ort sind außerdem sechs Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 12,7 Megawatt in Betrieb. Derzeit befinden sich vier weitere in Bau. Auch bei den Windenergieprojekten gab es die Möglichkeit für die Bürger*innen, sich zu beteiligen. Der Einstieg in eine Bürgerenergieanlage lag bei 500 Euro – eine niedrige Einstiegshürde, die viel Wunsiedler genutzt haben.

Die Kompetenzen in Sachen Windenergie werden in einer interkommunalen Gesellschaft, der ZukunftsEnergie Fichtelgebirge GmbH, gebündelt. Diese wurde 2010 mit den Kommunen Arzberg, Kirchenlamitz, Wunsiedel und der SWW Wunsiedel GmbH gegründet. In den vergangenen Jahren wurden weitere Kommunen und kommunale Unternehmen als Gesellschafter in die ZukunftsEnergie Fichtelgebirge GmbH aufgenommen.

Bioenergie in Wunsiedel

Das Kernstück des innovativen Wärmeversorgungkonzeptes in Wunsiedel ist das Biomasse-Heizkraftwerk mit angeschlossener Pelletproduktion im Stadtteil Holenbrunn. Der Rohstoff stammt aus den Wäldern vom Fichtelgebirge und Frankenwald die in einer ORC-Turbine verbrannt werden. Die dabei entstehende Abwärme wird zum Trocknen der Sägespäne genutzt. Jährlich entstehen so rund 38.000 Tonnen Pellets, die vor allen in die wachsenden Märkte im Norden Bayerns, in Thüringen und Sachsen geliefert werden. Betreiber des Pelletwerks und des Holzkraftwerks ist die WUN-Bioenergie GmbH. Gesellschafter sind die  Stadtwerke, zwei weitere Unternehmen sowie zwei regionale Waldbauernvereinigungen.

Um das Biomasse-Heizkraftwerk Holenbrunn wurden als sogenannte „Satelliten“ die Heizkraftwerke Schönbrunn, Breitenbrunn und Neusorg errichtet, in denen ein Teil der vor Ort produzierten Pellets eingesetzt wird. Diese Anlagen versorgen jeweils über ein Nahwärmenetz Wohngebäude und städtische Gebäude klimafreundlich mit Wärme, zudem wird aus den Pellets Strom erzeugt. Zum Beispiel: Das im Jahr 2012 in Betrieb gegangene Satelliten-Heizkraftwerk in Schönbrunn produziert rund 2.600 Megawattstunden Strom und rund 3.200 Megawattstunden Wärme jährlich und versorgt rund 100 Haushalte.

Die Nahwärmeversorgung hat noch einen weiteren großen Vorteil für die Bewohner. Mit den Rohren verlegen die Stadtwerke auch Glasfaserkabel und machen damit schnelles Internet möglich.

Mit den Stadtwerken auf dem „WUNsiedler Weg Energie“

Die hiesigen Stadtwerke, eine hundertprozentige Tochter der Stadt, sind die Treiber der lokalen Energiewende. Der 2001 frisch eingesetzte Geschäftsführer Marco Krasser traf beim ersten Bürgermeister der Stadt, Karl Willi Beck, auf offene Ohren mit seiner Überzeugung, dass die Erneuerbaren Energien die Chance bergen, Wertschöpfung vor Ort zu schaffen, Arbeitsplätze aufzubauen und Standortvorteile herauszuarbeiten. Krasser erarbeitete eine Strategie für die Stadtwerke, die eine Versorgung ohne fossile und atomare Ressourcen vorsieht. „Die Aufgabe eines Stadtwerks besteht darin, die Bürger*innen sicher mit Energie zu versorgen“, erklärt Stadtwerkechef Krasser, „deshalb investieren wir konsequent in eine eigene, lokale Energieversorgung auf Basis von Erneuerbaren Energien.“

Stadtwerk und Kommune haben gemeinsam ein durchdachtes Energieversorgungskonzept erarbeitet, den sogenannte „WUNsiedler Weg Energie“. Mit ihm schöpfen die Wunsiedler bewusst die Potentiale der ländlich geprägten Region aus. Die Strategie leitet sich auch aus dem 2012 im Rahmen des Kooperationsprojektes „Klimaschutzkonzept Zentrales Fichtelgebirge“ zwischen den Kommunen Nagel, Trästau, Weißenstadt und Wunsiedel erstellten Klimaschutzkonzept ab.

Um die Akzeptanz gegenüber Erneuerbaren Energien zu stärken, setzen die Stadtwerke auf Beteiligungsformen und transparente Information. So informiert beispielsweise das Internetportal "Energieflussvisualisierung" in Echtzeit über Stromerzeugung und -verbrauch im Wunsiedler Ortsteil. Nutzer können über eine interaktive Grafik diese Daten live verfolgen und erkennen, ob der in Wunsiedel erzeugte Strom gerade in andere Versorgungsgebiete weiterverkauft wird oder ob Strombezug von außen nötig ist.

Nach Erreichen der Energie- und Klimaziele für das Jahr 2020 wollen die Wunsiedler nun folgende Meilensteine angehen: Umstellung der Energieversorgung auf 100 Prozent regenerative Energien mit weiteren eigenen erneuerbaren Erzeugungsanlagen. Installation eines Steuerungssystems mit dezentraler Intelligenz: Durch das intelligente Stromnetz („smart grid“) soll zum Beispiel die Speicherfähigkeit von Solarstrom erforscht und die Netzstabilität verbessert werden. Ausbau der Speichertechnologien wie z.B. Batteriespeicher, Power-to-Gas- und Power-to-Heat-Anlagen, um zukünftige Überangebote an Ökostrom zu speichern und für andere Sektoren nutzen zu können. Nutzung des bereits vorhandenen Potentials zur Lastverschiebung durch intelligente Einbindung von Speicherheizungen in das Demand-Side-Management.

Ökostrom vor Ort erzeugen und verbrauchen

Die hiesigen Stadtwerke setzen seit Frühjahr 2016 auf die regionale Vermarktung des Stroms aus den örtlichen Solar-, Windkraftanlagen und Biomasseanlagen an Verbraucher in den Landkreisen Wunsiedel, Hof und Kulmbach. Dafür führen die Stadtwerke die Direktvermarktung von regional erzeugtem Strom in einem regionalen Bilanzkreis durch. Dies erlaubt es, den vor Ort produzierten Strom den Verbrauchern vor Ort auch direkt anzubieten – ohne den Umweg über die Strombörse.

Know-how-Transfer zur Energiewende durch Städtepartnerschaft zwischen Wunsiedel und dem polnischen Łapy

Vom Wunsiedler Know-how in Sachen Energiewende kann auch die polnische Stadt Łapy profitieren. Beide Gemeinden unterhalten seit 2014 die erste deutsch-polnische Städtepartnerschaft im Bereich Energie- und Klimaschutz. „Unser langfristiges Ziel ist es, mit unser Partnerstadt Łapy in einen intensiven Austausch über kommunalpolitische Themen zu kommen“, erklärt Krasser. „Wir stellen uns vor, dass sich geeignete themenbezogene Arbeitsgruppen regelmäßig treffen und so als aktive europäische Bürger*innen miteinander Probleme lösen und Aufgaben bewältigen.“ Die ostpolnische Gemeinde verfolgt das Ziel, in den kommenden Jahren energieautark zu werden. Der Austausch mit Wunsiedel ist dabei ein wichtiger Aspekt, gibt es in Polen noch nicht so viele Erfahrungen mit der Umsetzung der Energiewende. Auf dem europäischen Parkett fiel die polnische Regierung stattdessen häufig durch die eigenen Skepsis gegenüber ambitionierten europäischen Zielen zu Klimaschutz und den Ausbau Erneuerbarer Energien auf. Doch einzelne Regionen in Polen haben begonnen, sich für die regionale Energiewende einzusetzen, darunter unter anderem die Wojewodschaft Podlassien. Das dortige Marschallamt hat das Ziel, eine effizientere und schonende Nutzung der Ressourcen zu erreichen. Mit deutscher Hilfe wurde ein Klimaschutz- und Energiekonzept erstellt. Mithilfe der Städtepartnerschaft mit Wunsiedel, die unter dem Motto „Energie verbindet“ steht, soll ein Wissenstransfer angestoßen werden. Weiterhin erhoffen sich die Gemeinden eine höhere Akzeptanz für zukünftige Klimaschutzprojekte.  Das erste gemeinsame Projekt war 2014 eine energetische Begehung der kirchlichen Liegenschaften in Łapy. Hier ging es konkret darum, den aktuellen Ist-Zustand und evtl. Mängel der sakralen Gebäude festzustellen, um so beispielhaft die zahlreichen Möglichkeiten der Gebäudesanierung bzw. Energieeinsparungsmaßnahmen vor Ort näher zu beleuchten.