Die zehn wichtigsten Fakten zur Sektorenkopplung

Was ist Sektorenkopplung?
Der Begriff Sektorenkopplung fasst Ansätze zusammen, bei denen die bisher getrennten Energiesektoren Strom, Wärme und Verkehr stärker vernetzt werden. Ziel ist die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen in allen Bereichen des Energiebedarfs. Strom aus Erneuerbaren Energien soll im Rahmen der Sektorenkopplung verstärkt im Wärme-, Industrie- und Verkehrssektor genutzt werden, z.B. durch Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge. Die flexibel einsetzbaren Bioenergieträger, regenerativ erzeugtes synthetisches Methan und Wasserstoff („Power-to-Gas“) sowie andere Strom- und Wärmespeichertechnologien tragen ebenfalls dazu bei, die Sektoren zu verknüpfen. Ziel ist, das große Potenzial der Stromerzeugung aus Windenergie und Photovoltaik bestmöglich zu erschließen und auch für die Wärmeversorgung und den Verkehr verfügbar zu machen. Die Sektorenkopplung ist dabei ein wichtiger Baustein für Flexibilität, um die wetter- und jahreszeitlichen Erzeugungsschwankungen auszugleichen.

Mit Sektorenkopplung zum Klimaschutz
Während die Erneuerbaren Energien im Stromsektor im Jahr 2022 rund 46,2 Prozent zur Deckung des Stromverbrauchs beitrugen, stagniert ihr Beitrag im Wärmesektor seit mehreren Jahren bei etwa 17 Prozent und im Verkehrssektor bei lediglich sechs Prozent. Damit die Klimaschutzziele der Bundesregierung erreicht werden können, müssen jedoch alle Sektoren mit Erneuerbaren Energien versorgt werden. Doch gerade im Wärme- und Verkehrsbereich reicht das Potenzial an erneuerbaren Energieträgern nicht aus, um den gesamten Bedarf zu decken. Das bedeutet, dass neben einer Verringerung des Energiebedarfs auch verstärkt Strom aus Erneuerbaren Energien für Wärme und Verkehr genutzt werden muss. Erst dann kann eine Dekarbonisierung unserer gesamten Energieversorgung, also der Ersatz fossiler und damit CO2-intensiver Brennstoffe, stattfinden.

Strom zum Heizen
Bislang wird die Wärmeversorgung durch Erneuerbare Energien überwiegend aus Bioenergie gespeist. Doch Technologien wie Wärmepumpen und Power-to-Heat sind nicht zu unterschätzen. Die Absatzzahlen für Wärmepumpen steigen stetig: So wurden allein im Jahr 2022 etwa 236.000 Heizungswärmepumpen installiert, der Gesamtbestand stieg damit auf rund eine Million. Die Funktionsweise der Wärmepumpe ist vergleichbar mit der des Kühlschranks. Während der Kühlschrank allerdings seinem Innenraum die Wärme entzieht und nach außen abgibt, entzieht die Wärmepumpe dem Außenbereich die Wärme und gibt sie als Heizenergie ab. Eine Wärmepumpe hebt die natürlich vorhandene Umweltwärme mit Strom als Hilfsenergie auf ein Temperaturniveau, das zum Heizen und zur Warmwasserbereitung genutzt werden kann. Auch industrielle Abwärme und Solarthermie können mit einer Wärmepumpe auf ein höheres Temperaturniveau gebracht und damit besser nutzbar gemacht werden. Umgekehrt können Wärmepumpen auch zur Kühlung bzw. Klimatisierung eingesetzt werden.

Power-to-Heat wiederum beschreibt die gezielte Nutzung von Stromerzeugungsspitzen aus Erneuerbaren Energien für die Wärmeversorgung. Verschiedene Technologien nutzen ein zeitweiliges Überangebot an Strom aus Wind- und Solarenergie, um Wasser oder andere Materialien zu erhitzen. Die so erzeugte Wärme kann gut gespeichert und bei Bedarf zum Beispiel in ein Wärmenetz gespeist werden, um Haushalte und Gewerbe mit Heizenergie und Warmwasser zu versorgen. In kleinen und mittleren Anwendungen erwärmen einfache Heizstäbe oder Elektrokessel, die nach dem Prinzip von Tauchsiedern funktionieren, Wasser, um damit einen Teil der benötigten Wärme für einzelne Gebäude oder Schwimmbäder bereitzustellen. Elektrodenkessel ermöglichen sehr hohe Wärmeleistungen von vielen Megawatt und können auch Dampf von mehreren hundert Grad Celsius für industrielle Prozesse liefern. Power-to-Heat ist somit eine flexible Ergänzung für andere vorhandene Wärmequellen.

Strom zum Fahren
Im Verkehrssektor haben wir bislang lediglich fünf bis sechs Prozent Erneuerbare Energien. Hier entsteht ein riesiger Spielraum für die Elektromobilität. Die batterieelektrischen Fahrzeuge (Pkw, E-Bikes etc.) werden mit Strom aufgeladen, wobei die Batterie dann ein optimaler Stromspeicher ist, wenn der Ladevorgang so gesteuert wird, dass ein hohes Aufkommen an Strom aus Wind oder Sonne aufgenommen wird. Bis zum 01. Januar 2023 waren eine Million Elektroautos in Deutschland zugelassen – mit steigender Tendenz. Logische Voraussetzung dafür ist die Entwicklung und Stärkung der Ladeinfrastruktur, auch um gezielt Strom aus Erneuerbaren Energien zu tanken. Eine andere Möglichkeit zur Sektorenkopplung im Verkehr stellt Wasserstoff dar, der mithilfe von Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt wird. Wasserstoff und synthetische Flüssigkraftstoffe („Power-to-Liquid“) sind vor allem für Schwerlast-, Flug- und Schiffsverkehr eine Perspektive, wo die direkte Stromnutzung an ihre Grenzen stößt.

Eine Grafik dazu finden Sie hier.

Strom für die Wasserstoff-Produktion
Wasserstoff wird ein zentrales Element der Sektorenkopplung. Während der zum Beispiel in der Industrie benötigte Wasserstoff bisher durch fossile Energieträger erzeugt wird, soll das künftig mit Strom aus Erneuerbaren Energien geschehen. Durch Elektrolyse wird Wasser mithilfe von elektrischer Energie in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Wenn der Elektrolyseprozess dabei an die Verfügbarkeit von Sonne und Wind angepasst wird, trägt er optimal dazu bei, Strom aus Erneuerbaren Energien in verschiedenen Sektoren verfügbar zu machen. Ein Teil der elektrischen Energie wird dabei chemisch im Wasserstoff gespeichert, man bezeichnet den Prozess daher auch als Power-to-Gas. Der Wasserstoff kann dann beispielsweise für Anwendungen in der chemischen Industrie oder in Brennstoffzellen direkt verwendet werden oder bis zu einem Anteil von fünf Prozent in das Erdgasnetz eingespeist und beispielsweise zur gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung in herkömmlichen Blockheizkraftwerken (BHKW) genutzt werden.

(Foto: Brennstoffzellenauto/ AEE)

Alternativ kann der gewonnene Wasserstoff unter Zugabe von CO2 anschließend in synthetisches Methan umgewandelt werden, das chemisch fossilem Erdgas oder erneuerbarem Biomethan entspricht. Methan kann in den bestehenden Gasinfrastrukturen quasi unbegrenzt gespeichert und transportiert werden und ist damit einfacher zu handhaben als Wasserstoff. Die Methanisierung könnte in Zukunft vor allem die langfristige Speicherung von Energie ermöglichen. Wegen der bislang hohen Umwandlungsverluste und damit einhergehend hohen Kosten sind hierfür jedoch noch technische Fortschritte erforderlich.

Das synthetische Methan kann genauso wie fossiles Erdgas herkömmliche Kraftwerke oder BHKW zur Strom- und Wärmeerzeugung antreiben. Der klimaneutral erzeugte Brennstoff kann jedoch genauso gut im Wärme- und Verkehrssektor eingesetzt werden, wo die direkte Stromnutzung nicht möglich ist – etwa zur Produktion von Hochtemperatur-Prozesswärme. Bei Bedarf kann das erneuerbare Gas auch in Gasturbinen rückverstromt werden: Falls zu wenig erneuerbarer Strom zur Verfügung steht, können mit diesem regenerativ erzeugten Gas die Lücken gefüllt werden.

Power-to-Gas ermöglicht eine hohe zeitliche und örtliche Flexibilität zwischen den einzelnen Sektoren und ist besonders interessant für den Verkehrssektor. Unter Umwelt- und gesamtwirtschaftlichen Aspekten sollten dabei möglichst gezielt die Zeitspannen mit einem hohen Stromaufkommen aus Wind- oder Solarenergie genutzt werden. Zwar ist das Power-to-Gas-Verfahren durch die Umwandlungsverluste bei den chemischen Prozessen weniger effizient als die direkte Nutzung von Strom, der große Vorteil ist jedoch die Bereitstellung von Flexibilität, wenn es gelingt, die Anlagen entsprechend zu betreiben.

Sektorenkopplung und der Ausbau der Netzinfrastruktur
Das Stromnetz ist das verbindende Element zwischen den verschiedenen Verbraucher*innen und Erzeuger*innen im Energiesystem. Heute wird oft davon gesprochen, dass Windenergieanlagen wegen drohender Überlastung des Stromnetzes teilweise gedrosselt werden müssen und dass neue Stromleitungen notwendig sind, um den Windstrom vom Norden in den Süden zu bringen. Das ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Für die Energiewende brauchen wir zwar den Bau neuer Stromleitungen, aber auch die Modernisierung der Netzinfrastruktur mithilfe digitaler Informations- und Kommunikationstechnik. Dadurch können Erzeuger*innen und Verbraucher*innen besser miteinander verknüpft und aufeinander abgestimmt werden, eine wichtige Voraussetzung für die Sektorenkopplung. So kann das Potenzial der bestehenden Netzinfrastruktur besser ausgenutzt werden, ohne die Netze zu überlasten und ohne unnötig viele Leitungen hinzubauen zu müssen.

Sektorenkopplung und Digitalisierung hängen zusammen
Für ein optimales Zusammenspiel der vielen dezentralen Stromerzeuger*innen und Verbraucher*innen kommt es künftig auf die Bereitstellung von Echtzeit-Daten zum aktuellen Netzzustand an. Dabei sollen Erzeuger*innen bessere Informationen zum momentanen Strombedarf der Verbraucher*innen bekommen, und umgekehrt Verbraucher*innen signalisiert bekommen, ob gerade viel oder wenig Strom verfügbar ist. Dadurch lassen sich regionale und netzdienliche Flexibilitätsoptionen erschließen und die Versorgungssicherheit gewährleisten. Digitale Kommunikationstechnik kann dazu beitragen, dass beispielsweise bei höherem Strombedarf von Verbraucher*innen auf Stromspeicher zurückgegriffen werden kann oder aktuell nicht benötigte Windstrommengen dazu genutzt werden, um Speicher zu befüllen. Durch eine moderne, mit Informations- und Kommunikationstechnik ausgestattete Netzinfrastruktur („Smart Grid“) wird das Energiesystem „intelligent“ und flexibel. Ein Teil dieser modernen Netzbetriebsführung sind neue digitale, „intelligente“ Stromzähler (Smart Meter). Digitalisierung ist nötig, um alle Komponenten des Energiesystems gut miteinander zu vernetzen und aufeinander abzustimmen.

Ein in aktuellen Studien häufig diskutierter Aspekt zum Thema ist die Blockchain-Technologie. Dabei werden Transaktionen in Datenblöcken zusammengefasst. Neue Blöcke werden jeweils an die bestehenden Blöcke angehängt, sodass eine immer länger werdende Datenkette entsteht, deshalb der Name „blockchain“. Die Transaktionsdaten einer Blockchain werden auf vielen Rechnern dezentral gespeichert, was das System besonders sicher macht. Mit Blockchains könnten Stromlieferung und Bezahlung direkt zwischen Anlagenbetreiber*innen und Kund*innen ohne zwischengeschaltete Akteur*innen abgewickelt werden. Durch „Smart Contracts“ könnten die Transaktionen automatisiert ausgeführt werden. Ein „Smart Contract“ ist ein Liefervertrag, in dem bestimmte Kriterien vorab festgelegt werden, bei deren Eintritt automatisch eine Transaktion ausgelöst wird. Beispielsweise beziehen Kund*innen Strom, wenn eine gewisse Preisschwelle unterschritten ist oder lokal erzeugter Strom verfügbar ist. So könnte der Stromhandel zwischen dezentralen Stromerzeuger*innen und -verbraucher*innen digital und automatisiert abgewickelt werden. Der Blockchain wird das Potenzial zugesprochen, dabei zu helfen, die Erneuerbaren Energien flexibel ins Energiesystem zu integrieren. Die Technologie könne eine große Zahl an Einheiten im Energiesystem bündeln, vernetzen und zu einem virtuellen Energiepool zusammenfassen.

In virtuellen Kraftwerken läuft alles zusammen
Ein virtuelles Kraftwerk ist die Summe aus der digitalen Vernetzung von Einzelanlagen, die zusammengeschaltet gesteuert wie ein Großkraftwerk agieren können. Bausteine eines virtuellen Kraftwerks können zum Beispiel Photovoltaik-, Windenergie-, Biogas-Anlagen, Blockheizkraftwerke oder Wasserkraftanlagen, aber auch Energiespeicher sein, die gekoppelt betrieben werden. Die jeweiligen technischen und ökonomischen Eigenheiten der einzelnen Technologien ergänzen sich durch die Zusammenschaltung gegenseitig. Das gewährleistet eine sichere und flexible Stromerzeugung. Ein virtuelles Kraftwerk kann z.B. Lastspitzen glätten oder Regelenergie bereitstellen. Die Bezeichnung „virtuell“ rührt daher, dass der Erzeugungsverbund nach außen hin wie ein einzelnes großes Kraftwerk erscheint, aber eigentlich kein einzelnes Kraftwerk existiert, sondern mehrere, über verschiedene Standorte verteilte Anlagen.

Und warum nicht mehr davon?
Bei der Sektorenkopplung ist noch Luft – zumeist steckt die Sektorenkopplung sogar noch in den Kinderschuhen. Die Frage ist: Woran liegt das? Da es bei der Sektorenkopplung im Kern darum geht, Strom verstärkt bei Anwendungen in den Bereichen Wärme, Verkehr und Industrie einzusetzen, ergab das zu einer Zeit, in der es kaum Erneuerbare Energien gab, keinen Sinn. Bei dem inzwischen erreichten Anteil von rund 46,2 Prozent (2022) an der Stromerzeugung in Deutschland und der großen Bedeutung von Windenergie und Photovoltaik wird die Sektorenkopplung langsam attraktiv. Sie eröffnet nicht nur Klimaschutzoptionen für die anderen Energiesektoren, sondern bietet die notwendige Flexibilität für den zunehmenden Ausgleichsbedarf im Stromsystem. Für die weitere Entwicklung der Sektorenkopplung ist jedoch auch der weitere starke Ausbau der Stromerzeugung aus Erneuerbarer Energie essentiell, da der Stromverbrauch durch die Elektrifizierung der verschiedenen Energiebedarfssektoren wächst. Kontraproduktiv ist es daher, dass der Windenergieausbau zuletzt so stark eingebrochen ist. Das muss sich schnellstmöglich wieder ändern.

Was Sektorenkopplung jetzt braucht
Damit die Sektorenkopplung im Energiesystem weiterentwickelt und verankert werden kann, bedarf es einer klaren politischen Regulierung. Sektorenkopplung braucht faire Rahmenbedingungen: Dazu gehören zum Beispiel flexible Strompreise, Entbürokratisierung, das Ende von Subventionen für fossile Energieträger, die gezielte Förderung und Zukunftsperspektive für Erneuerbare Energien. Vor allem mit Blick auf die Windenergie gilt es, die Akzeptanz zu fördern, zum Beispiel durch bessere Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger*innen. Der rückläufige Trend beim weiteren Ausbau insbesondere von Windenergieanlagen muss wieder umgekehrt werden. Staatliche Förderinstrumente müssen gezielt für die Energiewende und Sektorenkopplung eingesetzt werden, denn erste Leuchtturmprojekte zeigen, dass die Sektorenkopplung für eine lebenswerte Zukunft nicht nur notwendig ist, sondern viele positive Wirkungen hat.